Bild: BR/Bavaria Fiction GmbH/Linda Gschwentner

Auflösung und Erklärung zum Münchner Tatort „Zugzwang“

Der Tatort Zugzwang, der am 27. April 2025 ausgestrahlt wurde, endet mit einer rätselhaften Schlussszene, die Raum für Interpretationen lässt. Darin spielen zwei Schachfiguren eine entscheidende Rolle. Was hat es mit dem offenen Ende auf sich?


Der Münchner Tatort Zugzwang, bei dem die Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) mit Unterstützung ihres Kollegen Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) und Rechtsmediziner Dr. Matthias Steinbrecher (Robert Joseph Bartl) in einem Hotel den Mord an einer Armenierin und weitere Anschläge aufklären, endet mit einer rätselhaften Szene:

Die Kamera zeigt die Schachspielerin Natalie Laurent (Roxane Duran) allein auf ihrem Hotelbett. Sie hat das Finale des großen Turniers in den Alpen zwar soeben gegen ihren Kontrahenten „Teddy“ Boyle (Maximilian Befort) verloren, wird aufgrund ihrer tollen Leistung als einzige Frau im Wettkampf aber von der Presse belagert und von ihren Fans gefeiert. Laurent legt einen Blumenstrauß beiseite und öffnet eine Box mit einem Schachspiel. Darin sind alle schwarzen und weißen Figuren vorhanden, bis auf zwei weiße Türme, die dem Spiel entnommen wurden:

Bild: Das Erste Nicht mehr vollständig: Im Schachspiel von Natalie Laurent (Roxane Duran) fehlen zwei Türme.

Im 1302. Tatort spielen diese Turmfiguren eine wichtige Rolle. Beim Bademantel tragenden ersten Opfer, der armenischen Sekundantin Lilit Kayserian (Sabrina Schieder), wurde eine solche Spielfigur ebenso gefunden wie bei der lebensgefährlich vergifteten Turnierleiter-Assistentin Sophie Jeong (Felicia Chin-Malenski), die den Turm auf dem Kopf stehend vor Boyles Hotelzimmertür gefunden und eingesteckt hatte. In gleicher Position findet ihn Schachpräsident Kamran Hasanov (Husam Chadat) vor seiner Tür: Er versteht die auf den Kopf gestellte Figur, die im Schach eine Dame repräsentiert, aufgrund der Verbindung zu einer berühmten Tarot-Karte als Drohung und fürchtet fortan um sein Leben.

Batic und Leitmayr verhaften allerdings den geständigen Hasanov-Leibwächter Timur (Bardo Böhlefeld), der sich auf der Zielgeraden des Krimis als fanatischer Laurent-Fan entpuppt und sogar noch viele weitere Menschenleben gefährdet. Liegen sie damit etwa falsch?

Ist Natalie Laurent doch die Täterin?

Nein, denn Laurent ist eindeutig nicht die Mörderin. Vor allem der dritte Mord (und natürlich der versuchte Giftanschlag beim großen Finale, den die Kommissare in letzter Sekunde verhindern) kann zweifellos Leibwächter Timur zugeordnet werden: Nach einer Verfolgungsjagd zwischen Leitmayr und Hasanov stürzt Timur mit seinem Chef im Wald eine Böschung hinunter und tötet ihn kurz nach dem Aufprall. Laurent ist in diesem Moment gar nicht zugegen. Die Kamera zeigt Timurs Tat in einer Rückblende – ebenso wie die Tatsache, dass der Leibwächter sich vor dem ersten Mord an der Armenierin die mit einem markanten Logo gekennzeichneten Schuhe seines aserbaidschanischen Chefs anzieht, um den Verdacht auf Hasanov zu lenken.

Die Rückblende entlarvt außerdem, wie Timur an die erste Schachfigur kommt, die zu Beginn des Krimis bei der von der Hotelterrasse gestoßenen Sekundantin gefunden wird: Bei einem gemeinsamen Besuch mit Hasanov im Hotelzimmer des US-Amerikaners Teddy Boyle, der Laurent wegen vermeintlicher Betrügereien beim Online-Schach verklagt hatte, lässt er sie heimlich von dessen Schachbrett mitgehen. Entsprechend überrascht zeigt sich Laurents Konkurrent auch, als Batic und Leitmayr ihn auf den fehlenden Turm auf seinem Brett hinweisen. Doch was hat es mit der zweiten und dritten Figur auf sich?

Bild: Das Erste Der Täter greift zu: Leibwächter Timur (Bardo Böhlefeld) stiehlt die Figur von Boyles Schachbrett.

Warum fehlen die Schachfiguren? Wie ist das Ende zu interpretieren?

Wie die zwei fehlenden Figuren aus Laurents Schachspiel zu den Opfern gelangt sind, deutet der Film nur an. Wir interpretieren das Finale so:

Timur himmelte Laurent fanatisch an und räumte Widerstände gegen ihren Erfolg – etwa die geschasste Sekundantin Kayserian, den frauenfeindlichen Hasanov oder ihren Erzrivalen Boyle, dem der zweite Anschlag mit Nervengift galt – rücksichtslos aus dem Weg. Laurent gibt gegenüber Batic und Leitmayr zwar vor, nichts davon gewusst zu haben – dennoch ist gut vorstellbar, dass sie den Leibwächter für ihre Zwecke instrumentalisiert hat. Aus Briefen, die Timur ihr schrieb, war sie über dessen Fanatismus im Bilde. Auch bei ihrer Joggingrunde klebte Timur, der zudem Zugriff auf Hasanovs Nervengift hatte, eng an ihren Fersen, was ihr nicht verborgen blieb. Denkbar ist sogar, dass Laurent die Taten bei ihm in Auftrag gegeben hat – ein dankender Blickkontakt zwischen den beiden bei seiner Verhaftung unterstützt diese Theorie.

Timur wiederum wusste – so wie er im Gespräch mit Batic und Leitmayr vorgibt – tatsächlich nichts von der zweiten und dritten Figur. Seine überraschte Reaktion auf die Frage der Kommissare wirkt glaubwürdig. Sein Platzieren der ersten Figur diente allein der Ablenkung von seiner Person. Laurent wiederum hat Boyle und dem ungeliebten Präsidenten die Figuren 2 und 3 selbst vor die Türen gestellt, um sie nachhaltig einzuschüchtern. Wie kühl und berechnend die Schachspielerin beim Erreichen ihrer großen Ziele – die Weltmeisterschaft zu gewinnen und sich als Frau im Schachsport zu etablieren – vorgeht, zeigt auch ein Gespräch mit Boyle kurz vor dem großen Finale, bei dem Boyle ihr große Zugeständnisse anbietet, wenn Laurent ihn doch nur gewinnen ließe. Ob Laurent ihren Fehler im Finalspiel absichtlich begeht, lässt der Krimi ebenfalls offen.

Bild: BR/Bavaria Fiction GmbH/Linda Gschwentner Showdown am Schachbrett: Teddy Boyle (Maximilian Befort) und Natalie Laurent (Roxane Duran).

Wie uns der Münchner Tatort Zugzwang gefallen hat, erfährst du in unserer Filmkritik.