Interview mit Richy Müller

„Dass politische Themen umgesetzt werden, ist aller Ehren wert, aber es muss ja nicht jeder Tatort in diese Richtung gehen. Mir sind gute Geschichten wichtiger.“

Bild: SWR/Sonja Bell

27. August 2017. Richy Müller spielt seit 2008 den Hauptkommissar Thorsten Lannert im Stuttgarter Tatort. Wir trafen den Schauspieler beim SWR Sommerfestival 2017 und sprachen mit ihm über die Tatort-Folgen Stau und Der rote Schatten sowie über die Figurenentwicklung im Krimi aus dem Ländle.


WwdT: Der Titel deutet es ja bereits an: Dein 20. Tatort spielt im Stau auf der Stuttgarter Weinsteige. Wie muss man sich denn die Dreharbeiten vorstellen?

Müller: Wir haben uns natürlich erstmal gedacht: Ui, wie soll man das machen mit der Weinsteige? Da ist ja oft genug Stau, aber nicht 14 Tage lang, so lang, wie man für die Dreharbeiten vor Ort bräuchte. Daher haben wir uns dazu entschlossen, die berühmte Rechtskurve mit Blick auf Stuttgart in der Stadthalle in Freiburg zu drehen und die Weinsteige dort auf etwa 80 Metern nachzubauen. Dazu wurde der ganze Raum mit Bluescreens ausgestattet, wo dann in der Postproduktion durch Google Earth und Street View das Panorama der Stadt eingestanzt wird.

Steht in Wahrheit gerade in der Freiburger Stadthalle:
Thorsten Lannert (Richy Müller) auf der nachgebauten Weinsteige.
Bild: SWR/Alexander Kluge

WwdT: Du hast bei deinen Kinofilmen ja schon Erfahrungen mit Bluescreens gesammelt – oder auch in HAL, deinem letzten Stuttgarter Tatort. Wie schwer fällt es einem Schauspieler denn, sich in diese künstliche Szenerie hineinzuversetzen?

Müller: Einen Trick gibt es dafür nicht, aber in dem Fall war es auch gar nicht so schwierig: Man spielt ja zwischen den ganzen Autos mit echten Menschen und vergisst irgendwann, was da eigentlich um einen rum ist. Was in dem Fall aber auch gut ist, weil man der Witterung nicht ausgesetzt ist (lacht). Um das Ganze noch lebendiger zu machen, stand immer jemand außerhalb des Frames und hat mit einer Riesenfahne Wind gemacht, damit sich die Haare bewegen. Wenn man solche Sachen nicht machen würde, würde der Zuschauer an einem bestimmten Zeitpunkt wohl auch denken: Irgendetwas ist komisch!

WwdT: Wie wirkt sich das ungewöhnliche Setting, diese Art Mikrokosmos auf der Weinsteige, erzählerisch aus? Können die klassischen Tatort-Momente – Leiche finden, Obduktion, Zeugen befragen, Täter finden – eingehalten werden oder fällt die Folge dadurch aus dem Rahmen?

Müller: Das einzuhalten, war sogar relativ einfach: In Stau findet am Anfang eine Fahrerflucht in einer Siedlung statt, und es gibt nur einen Weg aus dem Wohngebiet raus. Der geht zwar in zwei Richtungen, aber eine davon ist durch eine Baustelle gesperrt – und die andere führt direkt in den Stau, der durch einen Wasserrohrbruch entstanden ist. Wir ermitteln dann getrennt: Bootz bleibt bei den Opfern und Lannert recherchiert mit Hilfe der Streifenpolizisten im Stau.

WwdT: Stuttgart ist ja die deutsche Stau-Stadt Nr. 1, und das hohe Verkehrsaufkommen ist etwas, was die Menschen im Kessel sehr beschäftigt – Stichwort Feinstaubalarm und Fahrverbote. Enthält der Tatort auch eine politische Botschaft?

Scherzten auf der Bühne bei jeder Gelegenheit mit dem Publikum:
Richy Müller und Felix Klare beim SWR Sommerfestival 2017.
Bild: WwdT

Müller: Zwischen den Kommissaren gibt es zwar keine entsprechenden Dialoge, aber den Film kann man sicherlich auch als Statement werten. Dietrich Brüggemann, der den Film gedreht hat, musste beim Thema Stuttgart sofort an Stau denken – bezeichnend, wie ich finde. Dadurch steckt ja schon eine Botschaft drin. Daraufhin hat er dann die Geschichte geschrieben und das sehr gut gelöst.

WwdT: In den letzten Jahren hat sich der Stuttgarter Tatort ja häufiger am politischen Zeitgeschehen versucht – in Der Inder ging es um die Folgen von Stuttgart 21, Im gelobten Land spielte in einer Flüchtlingsunterkunft und in HAL ging es um Cyberkriminalität und totale Überwachung. Ein neues Markenzeichen?

Müller: So weit würde ich nicht gehen. Dass solche politischen Themen umgesetzt werden, ist aller Ehren wert, aber es muss ja nicht jeder Tatort in diese Richtung gehen. Mir sind gute Geschichten wichtiger.

WwdT: Blicken wir näher auf deine Figur: Viele Zuschauer denken bei Lannert zuerst an den braunen Porsche. Was kennzeichnet den Typen denn noch?

Müller: Als ich damals [erster Auftritt 2008 in Hart an der Grenze, Anm. d. R.] das Angebot bekommen habe und man mich gefragt hat, wie ich mir diesen Typen vorstelle, war mein erster Gedanke: Lannert ist jemand, der nicht unter seinem Beruf leidet. Das hat man im Tatort ja oft – Kommissare, die den ganzen Dreck auf dieser Welt nicht mehr ertragen können und so. Das wollte ich eben nicht sein. Ich wollte jemand sein, der seinen Beruf mit Überzeugung ausübt, der unbestechlich ist, aber ein Gespür hat für Momente, in denen man als Kommissar auch mal ein Auge zudrücken sollte. Das wurde in den bisherigen Folgen gut getroffen. So ist es auch wieder in Stau: Lannert poltert da nicht rein, sondern versucht, reinzuhorchen und Leute zu beobachten, Dinge zu entdecken, die verdächtig sind – ohne Indizien vorschnell zu werten und mit Scheuklappen durch die Gegend zu rennen. Das zeichnet ihn aus.

WwdT: Ist das auch im nächsten Tatort wieder so?

Blicken bei ihrem 21. Fall erneut über die Dächer Stuttgarts:
Richy Müller (2.v.l.,) und Felix Klare (2.v.r.) mit Dominik Graf (3.v.r).
Bild: SWR/Sommerhaus/Hackenberg

Müller: In Der rote Schatten, den wir gerade mit Dominik Graf gedreht haben, kriegt Lannert noch eine neue Charakterisierung dazu: Es geht um die RAF und erzählt von seinen jungen Jahren, in denen er in einer WG mal Gudrun Ensslin begegnet ist. Das finde ich etwas sehr Schönes, wenn man sich vorstellen kann, wie das abgelaufen sein muss: Lange Haare hat er gehabt, wie alle, und er sagt, er wäre wie elektrisiert gewesen, als er Ensslin gesehen hat – wohlgemerkt zu einer Zeit, in der sie noch keine Terroristin war, sondern es nur Leute waren, die gegen die Gesellschaft aufbegehrt haben. Oder wie wir es im Film nennen: der Krieg der Kinder gegen die Väter.

WwdT: Lannerts Vorgeschichte ist ja eine sehr bewegte – er hat Frau und Kind verloren und gilt als „einsamer Wolf“. Würdest du dir wieder eine Frau an seiner Seite wünschen?

Müller: Genau, Lannerts Frau kam um während einer seiner verdeckten Ermittlungen. Seine Tochter hat ihn während der Undercover-Aktion als ihren Vater erkannt, die Mutter wollte das verhindern und beide sind überfahren worden. Ich habe aber damals schon gesagt: Ich möchte keine Familie haben. Dafür haben sie Bootz ja eine in die Geschichten geschrieben, aber da höre ich immer nur von allen: Das nervt! Das ist eine Entscheidung, die ich akzeptiere. Ich möchte es für Lannert aber nicht.

Kamen sich im Stuttgarter Tatort „In eigener Sache“ näher:
Thorsten Lannert (Richy Müller) und Nachbarin Lona Wegner (Birthe Wolter).
Bild: SWR/Krause-Burberg 

WwdT: Aber es gab da ja mal diese Nachbarin…

Müller: Das war ein Flirt, da gab es eine gewisse Spannung, aber auf Dauer geht das nicht. Jetzt hat Dominik Graf in Der rote Schatten wieder etwas Ähnliches erfunden: Ich will nicht zu viel verraten, aber Lannert trifft jemanden von früher, und dann gibt es einen kurzen Moment der Privatisierung der Figur. Wenn Lannert damals mit der Nachbarin allein war, war er ein völlig anderer Mensch als bei den Ermittlungen. Bei Graf gibt es einen ganz ähnlichen Moment, was nicht schlecht ist, aber einmalig bleiben wird. Ich finde, man sollte seine Kraft auf die Geschichte, auf den aktuellen Fall konzentrieren. Wenn man sich zum Beispiel amerikanische Serien anschaut: Da geht es zwar immer um etwas Bestimmtes, aber die Amerikaner haben diese Begabung, etwas aus der Vergangenheit immer mal wieder auftauchen zu lassen, so dass man denkt: Ach ja, der oder die hatte doch damals! Aber es ist eben nicht permanent da.

WwdT: Hast du amerikanische Lieblingsserien?

Müller: Ray Donovan und Elementary. Und natürlich Breaking Bad.

Interview: Lars-Christian Daniels