Interview mit Axel Milberg

„Wir sollten eine klare Figurenzeichnung haben, die sich nicht so beliebig verändert.“

Bild: NDR/Christine Schroeder

12. März 2017. Er spielt seit 2003 den Hauptkommissar Klaus Borowski und ist aus dem Kieler Tatort nicht mehr wegzudenken: Wir trafen Schauspieler Axel Milberg im Berliner Hotel Kempinski zum Interview und sprachen mit ihm über Borowskis Beziehung zum Gesetz, über die dunkle Seite und den neuen Tatort Borowski und das dunkle Netz, in dem die Kieler Kommissare im Darknet ermitteln.


WwdT: Was haben Sie bei der Folge Borowski und das dunkle Netz neu über die Figur Borowski gelernt?

Milberg: Hier ist der Borowski härter, sachlicher, ganz konzentriert auf den Fall. Er hat relativ wenig Empathie, seiner Kollegin Brandt gegenüber, auch der Tochter des Ermordeten gegenüber, und dem jungen Nerd gegenüber, den er am Abend vom Strand weg holt, um ihn zu befragen. Das fand ich interessant. Offensichtlich hat der Regisseur David Wnendt Spaß daran, die Figur straighter zu erzählen. Das hat mir sehr gefallen.

WwdT: Würden Sie gerne weiter in diese Richtung gehen mit der Figur?

Milberg: Ja. Ich glaube, Borowski ist oft sanft, um an Informationen zu bekommen. Wie ein guter Journalist.

Blicken bei ihren Ermittlungen oft in menschliche Abgründe:
Klaus Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibel Kekilli).
Bild: NDR/Christine Schroeder

WwdT: Warum interessiert es Sie, die Figur weniger empathisch zu spielen?

Milberg: Empathisch durchaus, aber weniger menschelnd. Entweder ist jemand menschlich, dann muss man aber definieren, was damit gemeint ist: empathisch mit den Angehörigen der Opfer. Oder er ist es nicht. Ein falsches Buhlen führt auch nicht zum gewünschten Ergebnis.

WwdT: Was glauben Sie, was zum Ergebnis führen würde?

Milberg: Wir können es nicht allen Recht machen, das sollten wir auch gar nicht erst versuchen, sondern wir sollten eine klare Figurenzeichnung haben, die sich nicht so beliebig verändert. Borowski war von Anfang an an Ergebnissen interessiert. Wie er zu diesen kommt, ist unterschiedlich, und ich denke, dass das bei der Polizei nicht anders ist. Es gibt ja die Begriffe good cop, bad cop, wir sehen das gerade in der aktuellen Diskussion in Amerika, der eine will die Folter anwenden, der andere sagt, eine Tasse Kaffee und eine Schachtel Zigaretten auf dem Tisch führen zu mehr Ergebnissen. Wir haben also die Auswahl, das Besteck, eine variety of choices und das finde ich spannend zu beobachten: Welches Mittel wählt der Ermittler? Das hängt sehr vom Gegenüber ab. Und abgesehen davon: Er muss nicht mal sich an die Gesetze halten. Wenn ein toller Autor entscheidet, der hält sich nicht an die Gesetze, dann hält er sich nicht an die Gesetze. Das muss nicht immer politisch korrekt sein, und das muss auch nicht immer sympathisch sein, es sollte aber immer gute Unterhaltung sein.

Wird bei seiner Arbeit täglich mit dem Tod konfrontiert:
Borowski (Axel Milberg, r.) mit LKA-Leiter Eisenberg (Michael Rastl).
Bild: NDR/Christine Schroeder

WwdT: Ein Kommissar hat die ganze Zeit damit zu tun, dass Menschen anderen Menschen schaden. Wie geht Borowski damit um?

Milberg: Ich glaube, dass er relativ gute Nehmerqualitäten hat. Ich habe ihn eigentlich lange nicht sagen hören: dieser ganze Scheiß und der Sumpf, der Mensch ist eine Missgeburt und eine Fehlkonstruktion. Er macht das, was er macht, und das hängt sicherlich auch ein bisschen mit meinem Einfluss zusammen, weil ich diese Empathie von Ermittlern – wie gesagt – oft unprofessionell und anbiedernd finde. Überhaupt, Figuren im deutschen Krimi: Da steht die Pathologin und wird gefragt, wie der Kollege, oder Patient oder das Opfer ums Leben gekommen ist. Und sie seufzt tief und sagt mit Grabesstimme: Ja, bevor man sie erschlagen hat, hat man ihr noch die Finger gebrochen, als wäre es so, dass sie in ihrem Berufsalltag jedes Mal schreckliche Schmerzen erleidet, wenn sie von Todesumständen berichtet. Das halte ich für falsch. Nun kann es ja eine bewusste Entscheidung sein, es anders darzustellen als in der Wirklichkeit. Dann frage ich aber: Warum? Es muss immer ein Gewinn sein, nicht zuletzt gute Unterhaltung. Aber es sollte selten der Grund sein, dass wir gemocht werden wollen, dann wird das weich und so ein Wackelpudding.

WwdT: Was unterscheidet Kiel vom Rest der Tatort-Reihe?

Sind sich im Geiste vielleicht gar nicht so fremd:
Borowski (Axel Milberg, l.) und der „stille Gast“ Kai Korthals (Lars Eidinger).
Bild: NDR/Philip Peschlow

Milberg: Ich hab nicht den Überblick über alle, ich glaube aber, dass der Ansatz ungewöhnlich ist, dass Borowski in dem vorletzten Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes seiner Schwiegermutter in spe auf die Frage „Und, was wären Sie geworden, wenn Sie nicht Polizist geworden wären?“ antwortet: „Verbrecher“. Das ist ja nicht nur ein Witz, es ist auch nicht witzig gespielt in der Folge, sondern das meint er so. In seinem Leben flackert die Kerze, was ist gut, was ist böse, was kann ich machen, was kann ich nicht machen. Im Kopf kennt er die Möglichkeit, auch Verbrecher zu sein. Da haben Leute das Gesetz beschlossen, um das irgendwie zu sortieren. Borowski könnte auch einen Menschen, den ich hasse, umbringen. Entscheidend ist aber: Warum mach ich das nicht? Man darf nicht vergessen, dass ein Polizist sein ganzes Leben diesen Fragen widmet: das Brechen des Gesetzes, die Verletzung der Regeln, Diebstahl und Mord und Körperverletzung mit Todesfolge, den Konflikt. Ich persönlich bin zutiefst überzeugt, dass es auch böse Menschen gibt, die einfach nur böse sind ohne Grund, böse geboren. Andere sagen, wie Henning Mankell, das gibt’s nicht. Ich glaube, doch. Wir wissen darauf keine Antwort. Wenn du dich thematisch dem Ganzen aussetzt, wie der Arzt mit Krankheiten, dann musst du dafür eigentlich geboren sein.

WwdT: Was würde Borowski in Versuchung führen, innerhalb des Apparats kriminell zu werden?

Milberg: Das sind wahrscheinlich die üblichen Verlockungen, es könnte auch Jähzorn sein. Dass er – ohne es vorher zu planen – einem Dreckskerl, der wieder morden würde, wenn er aus dem Gefängnis entlassen wird, eine Kugel verpasst, ihn auf der Flucht erschießt. Das ist aber sehr heikel und sehr theoretisch, das hieße: was wäre wenn, und das würde ich ohne die Betreuung durch einen Autor nicht so daher formulieren. Das kommt aber vor, gerade in den Büchern, die Sascha Arango geschrieben hat, dieses Ambivalente, auf der anderen Seite hat er auch schon mal jemand laufen lassen, wo er fand, das ist jetzt nicht wirklich strafwürdig. Auf dem Dach in der Folge Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes, Frieda Jung hatte dem Täter eine Spitze in den Bauch reingerammt und Borowski hält ihn sogar vom Springen vom Dach ab. Da ist zutiefst diese Überzeugung, dass man eigentlich den Täter, und sei er noch so übel, am Ende mehr oder weniger unversehrt dem Gericht übergeben sollte und der der im Gefängnis dann darüber nachdenken kann. Die Motivation dahinter ist der Glaube an das System, dass das System richtig ist. Und das ist wichtig und das ist auch die Grenze, die Regeln, die wir uns gegeben haben und die er auch für sich nicht nur anerkennt, sondern auch braucht. Und manchmal ist es schwierig, die Regeln gerade noch so zu befolgen. Da kommt dann die Spannung her.

Interview: Anke Dörsam