Bönisch in Dortmund, Rubin in Berlin, zuletzt das Team aus Frankfurt und Ringelhahn in Franken: In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Ermittlerinnen und -Ermittler aus dem Tatort ausgestiegen. Unsere Autorin Kirsten Ohlwein ist von ihren meist dramatischen Abgängen zunehmend gelangweilt.
Bei den meisten Menschen läuft das so: Sie kündigen einen Job, beginnen einen neuen. Selten werden sie vorher in die Luft gesprengt. Sie geben einen Ausstand, einen Einstand. Sie backen Kuchen oder Teigtaschen. Es wird angestoßen, abgestoßen. Geweint und Hände geschüttelt. Die meisten Menschen wechseln einfach ihre berufliche Tätigkeit, beginnen bei einem neuen Unternehmen, tun das noch mal. Und später gehen sie in den Ruhestand, ganz unaufgeregt.
Nur beim Tatort, da dürfen sie das oft nicht. Jedenfalls viel zu selten.
Vermutlich ist es der erforderlichen Dramaturgie geschuldet, die Drehbuch und Regie einhalten wollen. Schließlich wird ja ein Film gedreht, etwas Fiktionales, nicht die Realität. Doch all die erschossenen, erstochenen, explodierten Kommissare in der letzten Zeit wirken inzwischen seltsam langweilig in diesem Kontext. Es ist erwartbar geworden, dass sie ganz groß und dramatisch abtreten werden. Und deshalb hat dieser dramaturgische Kniff längst seinen Reiz verloren.
Ein paar Beispiele.
Tatort Dortmund: Martina Bönisch
(im Tatort Liebe mich!, TV-Premiere am 20. Februar 2022)
Jahrelang ging es hin und her zwischen den Königskindern Peter Faber (Jörg Hartmann) und Martina Bönisch (Anna Schudt). Sie durften nicht, dann konnten sie nicht, mal wollten sie nicht, aber wir hätten es doch so gern gesehen. Eine alte TV-Regel besagt aber: Sobald die Protagonisten sich kriegen, sinkt das Interesse der Zuschauer. Also darf geflirtet, gestritten, ein bisschen angefasst werden, aber mehr nicht.
Dass Anna Schudt den Tatort verlassen würde, hat der WDR so erfolgreich geheim gehalten wie vor ihm keine andere Sendeanstalt. Es gab keinen Maulwurf, kein Loch. Die Nachricht blieb nahezu bis zur Ausstrahlung unter Verschluss. So wurde es geneigten Krimiguckern angst und bange, als Bönisch und Faber plötzlich gemeinsam im Schlafzimmer verschwanden und die Kamera erst wieder ein Bild vom nächsten Morgen zeigte.
So etwas stinkt bekanntlich zum Himmel und kann nicht gut enden. Gesagt, getan – und zum x-ten Mal in der Fernsehgeschichte wurde eine wahrlich besondere Liebesgeschichte dem Tod geopfert. Wäre es schöner gewesen, sie wären diesen letzten Schritt vor Bönischs tödlicher Schussverletzung nicht gegangen? Ja. Haben wir es bekommen? Nein. Und so stirbt sie röchelnd in Fabers Armen und krächzt kehlig ihre letzten Worte: „Du bleibst hier.“
Realistischer Alternativvorschlag für Bönischs Ausstieg:
Vermutlich wäre die Beziehung zwischen Faber und Bönisch sowieso im Chaos geendet, seien wir realistisch. Vielleicht aber auch nicht. Und dann hätte sich einer der beiden versetzen lassen müssen. Nur nicht holterdiepolter in diesem Film.
Tatort Berlin: Nina Rubin
(im Tatort Das Mädchen, das allein nach Haus‘ geht, TV-Premiere am 22. Mai 2022)
Jeder langjährige Tatort-Fan wird automatisch skeptisch, wenn sich plötzlich, wie aus dem Nichts, eine Liebelei, ein Streit, eine Affäre oder eine sonstige emotionale Komponente zwischen Kommissarin und Kommissar anbahnt. Meistens bedeutet das: Einer von beiden steigt aus. Dann wird noch einmal tief in der Trickkiste des Drehbuchschreibens gekramt, um den Abgang so emotional und mitreißend wie möglich zu gestalten.
So auch in in Berlin: Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) kommen sich näher. Sexuell, nicht zwingend emotional. Sie beginnen eine Affäre miteinander, mehr ist dann von Rubins Seite aber auch nicht. Karow? Nicht so sicher. Als Rubin erst mit Karows Vertrauen spielt und es dann verspielt, ist klar: Das wird nicht gut ausgehen. Und so haucht Rubin ihren letzten Atemzug auf einem Flughafen. Es ist Nacht, es ist kalt, es ist draußen. Karow ist tief getroffen. Der einsame Wolf hatte sein Herz verloren, obwohl er genau das doch nicht wollte.
Realistischer Alternativvorschlag für Rubins Ausstieg:
Nach dem Vertrauensverlust gibt es eine Aussprache. Sie endet damit, dass sich einer der beiden (also hier: Nina Rubin) versetzen lässt.
Tatort Hamburg: Julia Grosz
(im Tatort Was bleibt, TV-Premiere am 1. Januar 2024)
Marija Erceg durfte den Grosz-Abgang schreiben und sah sich nach Erstausstrahlung der Kritik ausgesetzt, sie habe den Tod von Martina Bönisch in Dortmund einfach kopiert. Das ist natürlich Unsinn, weil die zeitlichen Abläufe bei den Dreharbeiten und der Produktion viel länger sind, als viele Zuschauer denken.
Der emotionale Dreh in ihrem Krimi: Julia Grosz (Franziska Weisz) liebäugelt mit einem Abgang, weiß aber nicht, wie sie es Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) beibringen soll. Als sie es dann tut, bleibt der nach außen gelassen, doch innen brodelt es. Auch ihr ist alles nicht ganz so egal. Vermutlich war ihr Ansinnen, dass er sie aufhält. Später entscheidet sie sich dazu, zu bleiben. Sie singt beseelt ein Lied in einer Hamburger Kneipe und ist mit sich und der Welt im Reinen. Nur Falke, der weiß es noch nicht – und wird es auch nicht mehr erfahren. Als er endlich die Kneipe erreicht, liegt Grosz schon sterbend auf der Straße. Sie ist zufällig einem impulsiv handelnden Messerstecher in die Arme gelaufen, als sie einen Streit schlichten wollte. Tod, Ende.
Realistischer Alternativvorschlag für Grosz‘ Ausstieg:
Sie bleibt bei ihrer Entscheidung und wechselt einfach tränenreich den Job, weil sie dringend etwas Neues tun muss.
Tatort Frankfurt: Anna Janneke und Paul Brix
(im Tatort Es grünt so grün, wenn Frankfurts Berge blüh’n, TV-Premiere am 29. September 2024)
Schöner ist’s, wenn sie einfach zusammen die Bühne verlassen. Das ist natürlich im echten Leben an Unwirklichkeit nicht zu toppen. Denn wer verlässt schon gemeinsam mit der Lieblingskollegin den Arbeitgeber? Aber wenn gleich das ganze Frankfurt-Team aufhören muss, dann geht es nur gemeinsam.
Im Schweizer Tatort mit Reto Flückiger und Liz Ritschard hatte man es in Der Elefant im Raum ein wenig leidenschaftslos damit gelöst, dass beide auf seinem Boot eine Tour machen und in den Sonnenuntergang fahren. Abgeblendet, Ende. Das war Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) leider nicht vergönnt. Ein bisschen wähnt man sich nach ihrem explosiven Ende in einem verbombten Auto jetzt im romantischen Jenseits, hatten sie sich doch gerade dazu entschieden, ihrer Zuneigung zueinander nachzugehen [sic!]. Ob es mit ihnen etwas geworden wäre, wissen also nicht mal die beiden. Das fade Gefühl, das hier irgendwo zwischen „treffend“ und „komplett daneben“ liegt, bleibt. Es hätte ein viel besseres Ende gegeben.
Realistischer Alternativvorschlag für Jannekes und Brix‘ Ausstieg:
Der Film endet nach Jannekes Frage, ob sie nicht jetzt gleich schon mit ihm kommen könnte. Die Kamera zieht nach oben aus dem Auto raus, die beiden fahren aus dem Bild. Ende.
Als weitere Option bliebe selbstverständlich immer die Idee, die Kommissarin oder den Kommissar sterben und zu einem Geist werden zu lassen. Das hat sicher noch niema…. aaah, Moment.
Das große Problem dieser oft gewaltigen, dramatischen und vermeintlich überwältigenden Ausstiege ist doch: Sie lassen uns nicht den Hauch einer Fantasie.
Dabei gibt es doch nichts Schöneres, als sich noch zwei, drei Minuten nach dem Abspann zu fragen, wie es wohl weitergegangen ist? Doch die Schauspieler sind ihre Figuren offenbar so leid, dass sie sie einfach nur loswerden wollen. Hat es schon mal jemand gewagt, Kommissarin und Kommissar zu einem Paar werden zu lassen und denjenigen, der aussteigen möchte, einfach nicht mehr zu zeigen?
Der Polizeiruf macht es besser
Deutlich unaufgeregter, aber viel authentischer hat es der Polizeiruf 110 aus Brandenburg hinbekommen. Und das gleich zwei Mal binnen kurzer Zeit. Olga Lenski (Maria Simon) entschied 2021 in Monstermutter, dass sie den Job aufgeben muss, um bei Sinnen zu bleiben. Und dann war sie schlicht weg. Immerhin mit kurzem Abschied und nach Ankündigung. Und ihr Kollege Adam Raczek (Lucas Gregorowicz), ja, der hatte seine Sinne schon verloren, aber entschied dann noch rechtzeitig, dass er gehen muss. Ohne Abschied, ohne Ankündigung. Niemand wurde 2022 in Abgrund in die Luft gejagt, keiner japste die letzten Worte.
Dann gab es in der jüngeren Vergangenheit noch die halbgaren Ausstiege mit Hintertür. Einer fand 2022 im Rostocker Polizeiruf statt: Sascha Bukow (Charly Hübner) wollte sich weder erschießen noch erstechen lassen, erst recht nicht in die Luft jagen. Stattdessen setzt er sich in Keiner von uns nach Sibirien ab, um über sein Verhalten nachzudenken. Ein bisschen wie die stille Treppe für kriminell gewordene Polizisten: die Hütte in Sibirien. Immerhin: Die Fantasie des Publikums bleibt aktiv, beschränkt sich aber seit seiner Abfahrt auf eine einzige Frage: Wann kommt er wieder?
Im Polizeiruf 110 aus München fuhr Elisabeth „Bessie“ Eyckhoff (Verena Altenberger) 2023 in einem Rettungswagen sehr wahrscheinlich ihrem Tod entgegen. Einzig, wir wussten es nicht sicher. Würde sie sich freikämpfen und überleben? Oder doch sterben? Das Ende in Paranoia blieb offen. Und doch legte sich ein seltsam friedvolles Gefühl über die Szenerie. Als wäre ihre Figur zur genau richtigen Zeit am exakt richtigen Ort.
Tatort Franken: Paula Ringelhahn
(im Tatort Trotzdem, TV-Premiere am 6. Oktober 2024)
Besonders elegant wurde der bislang letzte Tatort-Abgang gelöst. Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) sagte in Franken leise servus. Sie geht in den Ruhestand, Ende. Schnörkellos, entschlossen, sauber. Und als Manzel anfing, „The Sound of Silence“ zu singen, da war klar: Das ist jetzt die Metaebene. DAS war ein Abschied von Manzel, nicht von Ringelhahn.
Eine Hintertür gibt es nicht, der Fantasie bleibt überlassen, was Ringelhahn, von der man aus dem Privatleben in den vergangenen Filmen (mal abgesehen von einem Techtelmechtel in Wo ist Mike?) so gut wie nichts erfahren hat, nun so macht mit ihrer neu gewonnenen Freizeit.
Ein würdiges Ende!
Meine Wünsche für zukünftige Abschiede
Dürfte ich mir etwas wünschen für würdevolle Abschiede liebgewonnener Teams, dann würde das so aussehen:
- Max Ballauf und Freddy Schenk bestellen Currywurst und Kölsch an der Imbissbude am Rheinufer. Die Kamera zoomt langsam raus, hinten geht die Sonne unter. Abspann.
- Ivo Batic und Franz Leitmayr verlassen nach getaner Arbeit das Münchner Revier. Leitmayr fragt, ob noch Zeit für einen kleinen Abstecher sei, Batic winkt ab und sagt: „Passt scho“. Ende.
- In Münster stehen Frank Thiel und Karl-Friedrich Boerne im geteilten Hausflur, streiten über irgendeine Banalität, bis der Professor irgendwann die Weinflasche zückt und selbstverliebt in seine Wohnung deutet. Tür zu, fertig.
Was sind eure Ideen – zum Beispiel für Lena Odenthal oder das Team aus Wien?
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