Folge: 1 | 29. November 1970 | Sender: NDR | Regie: Peter Schulze-Rohr
Bild: NDR/Scharlau
So war der Tatort:
Wegweisend – und wegereich zugleich.
Taxi nach Leipzig ist nämlich nicht nur die erste und bis heute eine der am meisten wiederholten Folgen der erfolgreichsten deutschen Krimireihe aller Zeiten, sondern spielt auch in vier Städten gleichzeitig: Der Weg führt den mürrischen Hamburger Hauptkommissar Paul Trimmel (Walter Richter) zunächst von seiner Heimatstadt nach Frankfurt, später dann über die Autobahnen der DDR nach West-Berlin, Leipzig und wieder zurück.
Doch auch wenn die ARD es den Fernsehzuschauern so verkauft, ist Taxi nach Leipzig gar nichtTrimmels erster Einsatz: Schon 1969 wurde sein Fall Exklusiv! gesendet – allerdings noch nicht unter dem Tatort-Label, sondern als eigenständiger Film. 1971 wurde der Film dann einfach ein weiteres Mal ausgestrahlt und als Tatort Nr. 9 in die Krimireihe eingeordnet.
Eine nennenswerte Einführung der Hauptfigur, die noch bis 1982 in der Hansestadt ermittelt, findet im offiziellen 1. Tatort somit nicht statt: Über den norddeutschen Hauptkommissar erfahren wir einleitend eigentlich nur, dass er bei seinen Kollegen – allen voran Kriminalmeister Höffgen (Edgar Hoppe) – hohen Respekt genießt, am Schießstand eine gute Figur abgibt und dem Alkohol auch während der Dienstzeit nicht gerade abgeneigt ist.
Schon im Auftaktdrittel des Films, der es mit gut 87 Minuten bereits ziemlich genau auf die spätere Tatort-Standardlänge bringt, leeren Trimmel und Höffgen einen Schnaps nach dem nächsten. Später schenkt sich der Kommissar und Zigarrenfreund dann zahlreiche Bier und hin und wieder auch einen Cognac ein – bei der Befragung von Verdächtigen, wohlgemerkt. Dieser exzessive Alkoholgenuss vor und nach Feierabend ist aus heutiger Sicht eher irritierend – vor allem dann, wenn sich der deutsche Beamte nach stundenlangem Gezeche in der Kneipe sogar noch hinters Steuer setzen möchte.
TRIMMEL: Noch ’ne Runde!
WIRTIN:
Gern. Das ist dann die sechste. Wollense nich doch lieber mit ’ner Taxe fahren?
Überhaupt verbringt Trimmel fernab der Heimat viele Minuten hinter dem Lenkrad oder auf dem Beifahrersitz: Weil die DDR-Kollegen Amtshilfe im Falle eines toten kleinen Jungen anfordern, gleicht der Tatort einem klassischen Roadmovie, in dem zahlreiche Orts- und Zeitsprünge stattfinden und in dem die titelgebende Fahrt im Taxi nach Leipzig nur einen kleinen Teil der Strecke ausmacht.
Drehbuchautor Friedhelm Werremeier, der auch die gleichnamige Romanvorlage schrieb und in den nächsten Jahren gemeinsam mit Regisseur Peter Schulze-Rohr (Die Neue) für viele weitere TV-Adaptionen seiner literarischen Werke verantwortlich zeichnet, erzählt eine klassische Dreiecksgeschichte, die die Bundesrepublik und die DDR über die innerdeutsche Grenze hinweg miteinander verbindet.
Da ist auf der einen Seite der wohlhabende Erich Landsberger (Paul Albert Krumm, Freiwild), der in der Auftaktsequenz seinen leblosen Sohn auf der Rückbank seines Wagens über die Grenze nach Ostdeutschland fährt, und auf der anderen Seite Oberleutnant Klaus (Hans Peter Hallwachs, Borowski und der brennende Mann) mit seiner Geliebten Eva Billsing (Renate Schroeter, Der dunkle Fleck), die zugleich die Mutter von Landsbergers Sohn ist, der kurz darauf in Leipzig tot aufgefunden wird.
Schnell wird klar, dass sowohl Landsberger als auch das Pärchen mit dem Tod in Verbindung stehen – was genau sich aber abgespielt hat, halten die Filmemacher bis zum Schluss offen. Die Auflösung dieser Schlüsselfrage ist die Antriebsfeder des kurzweiligen Geschehens, und somit fällt der erste Tatort beim Blick auf die Weiterentwicklung der Krimireihe gleich aus dem Rahmen: Der obligatorische Auftaktmord findet nicht statt, eine echte Tätersuche gibt es nicht – und dass ein Hamburger Tatort mit ostdeutschem Lokalkolorit punktet, ist ziemlich einmalig.
Trimmels Alleingang hingegen ist typisch für das Verhalten vieler späterer Tatort-Kommissare: Ermittlungen auf eigene Faust – wie hier seine Spritztour quer durch die DDR – wiederholen sich in den folgenden Jahrzehnten zuhauf, wenngleich die großen Spannungsmomente noch ausbleiben.
Trotzdem ist Taxi nach Leipzig ein gelungener Auftakt der Krimireihe, die als Antwort auf die ZDF-Serie Der Kommissar von nun an Fernsehgeschichte schreibt – daran ändert auch die mitunter amüsante Schleichwerbung nichts, die bis in die 90er Jahre hinein so fest zum Tatort gehört wie der Fadenkreuz-Vorspann und die Titelmusik von Klaus Doldinger.
TRIMMEL: Bringense noch ’n Bier. Radeberger.
REZEPTIONISTIN:
Sie sind hier doch in West-Berlin.
TRIMMEL: Hamse nich?
REZEPTIONISTIN:
Hamwer nich. Wir ham hier nur deutsches. Westdeutsches.
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