Bild: Radio Bremen

Ein ganz gewöhnlicher Mord

Folge 26

4. Februar 1973

Sender: Radio Bremen

Regie: Dieter Wedel

Drehbuch: Dieter Wedel

So war der Tatort:

Ganz und gar nicht so gewöhnlich, wie es der Krimititel nahelegt. 

Für den ersten und 24 Jahre lang einzigen Tatort-Beitrag von Radio Bremen recherchierte der spätere Star-Regisseur Dieter Wedel echte Kapitalverbrechen, um seinem pseudo-dokumentarischen Fernsehspiel die Basis zu geben. 

Nachdem sich der Hessische Rundfunk für seinen Tatort Frankfurter Gold gut ein Jahr zuvor den Vorwurf einer Vorverurteilung zugezogen hatte, gingen die Verantwortlichen in der Hansestadt auf Nummer sicher und konstruierten das Drehbuch auf Basis zweier realer Fälle. Dabei greift Wedel auf die Erzählform zurück, die er zuvor schon im NDR-Mehrteiler Einmal im Leben genutzt hatte und inszeniert sein im Protokoll-Stil erzähltes Krimi-Meisterwerk sogar mit demselben Cast. 

In einer Bremer Bahnhofsgaststätte kreuzen sich die Wege von vier Männern – und zwar die von Vertreter Friedhelm Sacher (Günter Strack, spielte ebenfalls in Frankfurter Gold), Michael Puczek (Hans Brenner, Pension Tosca oder die Sterne lügen nicht), Kurt Westhoff (Peter Schiff, Der Boss) und Wolfgang Henning (Volker Eckstein, Blechschaden). Mit steigendem Alkoholpegel touren sie durch die Kneipen der Weserstadt und am nächsten Morgen wird Sacher in Bremen-Borgfeld am Ufer der Wümme tot aufgefunden. Soweit tatsächlich Ein ganz gewöhnlicher Mord

Die (Hand-)Kamera begleitet die Ermittlungsarbeit der Mordkommission und dokumentiert deren katastrophale Arbeitsbedingungen: Es gibt zu wenig Dienstfahrzeuge, die Telefonleitungen sind ständig belegt; auch personell ist man unterbesetzt. 

In Dokumentarfilm-Ästhetik entwickelt Wedel über zwei Zeitebenen Rekapitulation und die Aufklärung des Verbrechens. In Rückblenden erzählt er Vorgeschichte und Ablauf des Mordes an Friedhelm Sacher, gleichzeitig geben in eingestreuten Interviews Polizeireporterin Dagmar Freidank (Brigitte Grothum), Staatsanwalt Dr. Fritz Jasmers (Fritz Lichtenhahn, Howalds Fall) und Kommissar Böck (Hans Häckermann, Streifschuß) Einblicke in die Ermittlungen und äußern sich dem fiktiven Reporter gegenüber ziemlich jovial.


BÖCK:
Wasserleichen stinken wie Otter.

Wir werden Ohrenzeuge, wenn der Ermittler – offenbar zum wiederholten Male – beichten muss, dass er erst später nach Hause kommen wird. Im im Nierentisch-Stil eingerichteten Wohnzimmer bittet Staatsanwalt Jasmers seine Frau darum, die Kinder wegzuschicken und die Reporterin stellt fest, dass der damals neue Leiter der Mordkommission schon „einige Böcke“ geschossen habe. 

Direkt vor der Nase der hungrigen Kriminalassistenten schließt die Würstchenbude; viele Miniaturen tragen ihren Teil bei zur nüchtern inszenierten Authentizität des Milieus. Ein Ensemblefilm, aus dem die schauspielerische Leistung von Günther Strack besonders herausragt – aber auch Hans Häckermann, der in Platzverweis für TrimmelTote brauchen keine Wohnung und Der Mann aus Zimmer 22 noch einmal als Gastkommissar und im Lübecker Tatort Slalom sogar in einer anderen Ermittlerrolle als Kommissar Beck wiederauftaucht, vermag es, dem bedauernswerten Kriminalbeamten ein wunderbares Profil zu verleihen. 

Stimmig eingebaut ist auch der Auftritt von Gastkommissar Veigl (Gustl Bayrhammer), der im 26. Tatort einen in München verhafteten Verdächtigen verhört. Insgesamt eine runde Inszenierung, der anzumerken ist, dass Darsteller und Regie einander vertraut sind. Wedel lotet in seinem Film – gerade mal zwei Jahre nach dem Start der Reihe mit Taxi nach Leipzig – bereits die Grenzen des eben erst „formatierten“ Tatort aus. 

War Eberhard Fechners semi-dokumentarischer Fernsehfilm Frankfurter Gold noch eher zufällig zum ersten HR-Beitrag geworden, so bricht der Tatort von Radio Bremen nun ganz bewusst mit dem erzählerischen Realismus, der die Tatorte prägen sollte. Er bewegt sich in narrativer und visueller Auflösung allein auf der Ebene des behaupteten Dokumentarischen. Schließlich verweigert er dann sogar eine befriedigende Aufklärung der Tat, endet mit gleich vier Rückblenden, die die Aussagen der Verdächtigen – für die damalige Zeit verstörend brutal inszeniert – illustrieren. 

So ist Ein ganz gewöhnlicher Mord zweifellos einer der interessantesten, auch innovativsten Beiträge aus den Anfangsjahren der Tatort-Reihe. Für Radio Bremen bleibt es für lange Zeit bei diesem einen Beitrag, ehe Sabine Postel 1997 in Inflagranti als Kommissarin Inga Lürsen auf dem Plan tritt.

Bewertung: 10/10


Kommentare

Eine Antwort zu „Ein ganz gewöhnlicher Mord“

  1. Avatar von Hauptkommissar Stoever
    Hauptkommissar Stoever

    "Ein ganz gewöhnlicher Mord" war tatsächlich ein Highlight.
    Leider wird der Film, obwohl mittlerweile restauriert, viel zu selten wiederholt.
    Hoffe sehr, dass er in absehbarer Zeit mal wieder im TV läuft

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