Folge: 224 | 29. Oktober 1989 | Sender: SWF | Regie: Peter Schulze-Rohr
Bild: SWR/Erika Hauri |
So war der Tatort:
Stutenbissig.
Sie hat’s zum Auftakt alles andere als leicht, die 28-jährige Lena Odenthal (Ulrike Folkerts): Die Neue schneit ins Ludwigshafener Polizeipräsidium und wird direkt vom erzkonservativen Bürodrachen der „Sitte“, Frau Fichte (Margret Homeyer, Spuk aus der Eiszeit), in Empfang genommen. Fichte, die sich buchstäblich zur Verteidigung ihres Reviers genötigt sieht, kann mit Odenthals modernen Täterprofilen und Analysemethoden herzlich wenig anfangen – und schätzt sich mehr als glücklich, als die ehrgeizige Kommissarin nach einer Dreiviertelstunde des Krimis zur Mordkommission versetzt wird.
Auf ihren späteren, langjährigen Kollegen Mario Kopper (Andreas Hoppe, Debüt in Der kalte Tod) kann sich Odenthal im 224. Tatort allerdings noch nicht verlassen: Die sportliche Powerfrau geht am Rhein noch allein auf Verbrecherjagd und bringt Ende der 80er Jahre zugleich gehörig frischen Wind in die männerdominierte Krimireihe.
Ihr erster Einsatz entpuppt sich dabei früh als ein spannender: Vor allem der Überfall auf die blonde Carmen (Katharina Abt, Unversöhnlich), die im Hausflur von einem gruseligen Maskenmann vergewaltigt wird und später in Odenthals Wohnung ein sicheres Quartier bezieht, sorgt einleitend für einen prickelnden Gänsehautmoment.
Peter Schulze-Rohr (Jagdfieber), der neben dem allerersten Tatort Taxi nach Leipzig noch bei einundzwanzig weiteren Folgen der Krimireihe Regie führte, darf sich nach Herzenslust austoben und hat außerdem zehn Minuten mehr zur Verfügung als gewöhnlich: Die Neue zählt mit 100 Minuten Spieldauer zu den Tatort-Folgen mit Überlänge.
Ein weiterer Pluspunkt ist – trotz kleinerer Längen im Schlussdrittel – das Drehbuch, in dem der Kreis der Verdächtigen überschaubar gehalten wird: Drehbuchautor Norbert Ehry (Keine Polizei) reduziert ihn auf die drei vorbestraften Sexualstraftäter Koslowski (gewohnt großartig: Michael Mendl, Feuertaufe), Automechaniker Geissler (Hans-Joachim Grubel, Tod im Häcksler) und Appold (Michael Roll, Irren ist tödlich), der sich gerade einer Selbsttherapie unterzieht – und dabei nicht nur körperliche Schmerzen, sondern auch minutenlange Anfeindungen aufgebrachter Vergewaltigungsopfer ertragen muss.
Diese übersichtliche Runde an potenziellen Mördern erlaubt nicht nur eine intensive charakterliche Skizzierung der drei ehemaligen Triebtäter, sondern auch eine angenehm differenzierte Diskussion ihrer möglichen Therapien und Heilungschancen.
Product Placement gibt’s natürlich auch: Hobby-Bogenschütze Koslowski, dem sich Ehry am ausführlichsten widmet, raucht natürlich nur HB („Camelscheiße schmeckt nicht!“), und Nichtraucherin Lena lutscht am liebsten VIVIL – zumindest, wenn man dem Röllchen glauben darf, dass sie beim Verlassen der Tankstelle fallen und wie zufällig mit dem Schriftzug nach vorn im Sichtfeld der Kamera liegen lässt.
Bewertung: 8/10
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