Folge: 231 | 4. Juni 1990 | Sender: SWF | Regie: Martin Gies
Bild: SWR
So war der Tatort:
Anrufbeantwortend.
Was waren die Dinger, die in den späten 80er Jahren zum Gebrauchsgegenstand der breiten Masse wurden, damals noch sperrig: In der Wohnung von Hauptkommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) steht ein Anrufbeantworter, der in Sachen Volumen auch als Stereoanlage durchgehen würde und im 231. Tatort mehr Sätze aufsagen darf als ihr wortkarger Assistent Seidel (Michael Schreiner). Anders als Bürodrachen Fichte (Margret Homeyer) ist Seidel auch bei ihrem zweitem Einsatz mit von der Partie, beeinflusst die Ermittlungen aber ebenso wie Odenthals argwöhnischer Vorgesetzter Friedrichs (Hans-Günter Martens) nur am Rande.
Rendezvous istnach Folkerts‘ überzeugendem Vorjahresdebüt Die Neue bereits die zweite One-Woman-Show par excellence, doch qualitativ geht es steil in den Keller: Regisseur und Drehbuchautor Martin Gies (Eine unscheinbare Frau) zeigt zwar in der ersten Filmhälfte einige starke Ansätze und nimmt sich Zeit, die neue Ermittlerin im Gespräch mit Lover Michael und ihrer schwarzen Katze („Hör auf, sonst kommst du in den Backofen!“) charakterlich näher zu skizzieren, kommt in der Mitte des Films aber vollkommen vom Kurs ab.
Bis dahin ist die Täterfrage bereits geklärt: Die blonde Teenager-Göre Vicky (Nele Mueller-Stöfen, Wer das Schweigen bricht) brezelt sich abends zum Vamp auf und schleppt im immerselben Nachtclub ahnungslose geile Männer ab, die sich ein flottes Schäferstündchen mit ihr erhoffen und nicht ahnen, dass sie ihnen nur in ihre Wohnung folgt, um wenig später ihren Lover – den wenig furchteinflößenden Raubmörder Daniel (kaum wiederzuerkennen: Jürgen Vogel, LU) – hereinzubitten.
Beim stark inszenierten Auftaktmord, in dem sich das Opfer mit verbundenen Augen durch seine Wohnung tastet und in der Dusche massakriert wird, weht sogar noch ein Hauch von Hitchcocks Psycho durch den Krimi, der später wieder aufgegriffen wird: Als Lena Odenthal nachts einem Linienbus hinterher fährt, ertönen begleitende Streicherklänge, die sofort an die von Bernard Hermann und die folgenschwere Autoflucht von Marion Crane (Janet Leigh) erinnern.
Von Leinwandformat ist Rendezvous ansonsten aber meilenweit entfernt: Einleitend hagelt es Standardfragen nach dem Wo-waren-Sie-gestern-Abend-Prinzip und bereits der zweite Mord nach dem Techtelmechtel von Vicky („Der hat Kabel! Mensch, guck mal, was der hat!“) und Jörg Palz (Heinz Hönig, Bauernopfer) wirkt ziemlich konstruiert.
Dass sich der stämmige Palz von Hänfling Daniel überwältigen lässt, mag man noch glauben, danach jedoch artet die Geschichte zu unglaublichem Humbug aus: Als Vicky vorgibt, vom Augenzeugen Klaus Stein (Ulrich Gebauer, Der Finger) vergewaltigt worden zu sein, legt ihr überzeichneter Anwalt Fröhling (Lorenz Weisz) selbstbewusst ein ärztliches Gutachten vor, das diese Theorie bestätigen soll. Dass der Befund den Beschuldigten eindeutig entlasten muss, weil gar kein sexueller Übergriff stattgefunden hat, scheint er völlig zu vergessen.
Auch die beiden jungen Straftäter sind mit jeder Minute weniger ernst zu nehmen: Für das unfreiwillig komische Finale muss noch schnell ein Motiv her – also pinnt die Requisite fix ein New York-Poster an die Wand. „Wir brauchen nicht viel Geld, ich such mir einen Job als Taxifahrer oder Pizzabäcker“, erklärt der schüchterne Computer-Karl-Verschnitt Daniel weise, und scheint selbst nicht zu wissen, was genau er eigentlich im Big Apple will.
Vermutlich auf seine Freundin aufpassen: Die verhält sich selbst für eine 18-jährige unfassbar naiv, wechselt ihre Meinung im Minutentakt und führt die hartnäckig auf sie einquasselnde Odenthal trotz offensichtlicher Dauerüberwachung direkt in ihren geheimen Unterschlupf. Anders hätte der Krimi auch nicht funktioniert: Die Kommissarin hat keinerlei Indizien und rechtliche Mittel und ermittelt einfach nach Bauchgefühl. So simpel kann es nur im Fernsehen sein.
Sehr interessante Rezension, vielen Dank!
Ich glaube, Ihnen ist hier ein kleiner Tippfehler unterlaufen: Als Vicky vorgibt, vom Augenzeugen Klaus Stein (Ulrich Gebauer, Der Finger) vergewaltigt worden zu sein, legt ihr überzeichneter Anwalt Fröhling (Lorenz Weisz) selbstbewusst ein ärztliches Gutachten vor, dass diese Theorie bestätigen soll.
"Dass" müsste hier mit nur einem "s" geschrieben sein.
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