Folge: 300 | 11. Dezember 1994 | Sender: BR | Regie: Hanns Christian Müller
Bild: Bavaria Film GmbH/BR/Rolf von der Heydt |
So war der Tatort:
Heiter bis… heiter.
Denn wie der Krimititel bereits durchklingen lässt, gehört der neunte Tatort mit den Hauptkommissaren Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) zu den leichteren Fällen des Münchner Teams – wobei das Wort „leicht“ hier nicht nur die Stimmung, sondern auch den Schwierigkeitsgrad der polizeilichen Ermittlungen beschreibt. Und die „Musi“ in dieser Folge ist natürlich weder Popmusik noch Rock ’n‘ Roll: Der Tatort, mit dem Drehbuchautor Orkun Ertener (Die chinesische Prinzessin) 1994 sein Debüt gibt, steht vielmehr ganz im Zeichen der Volksmusik.
Bei den Vorbereitungen für eine große Fernsehshow kommen die Stars und Sternchen der bayerischen Volksmusikszene zusammen. Mittendrin ist auch der – und das ist typisch für die Krimireihe – sehr negativ gezeichnete Klischee-Journalist Jens Kühn (Wolf Brannasky, Norbert), Experte fürs Private und die Skandale der Stars, der sein Wissen zum eigenen Vorteil nutzen will. Sein Versuch, die Volksmusiklegende Anton Jäger (Georg Einerdinger, Wunschlos tot) zu erpressen, geht jedoch schief: Nach einem Handgemenge liegt Jäger tot in seiner Garderobe und der dafür verantwortliche Kühn hat es sehr eilig, das Fernsehstudio zu verlassen.
Mit diesem turbulenten Beginn werden wir unter Regie von Hanns Christian Müller, der zum ersten und letzten Mal für einen Tatort am Ruder sitzt, abrupt in diesen klassischen Howcatchem hineingeworfen – doch wir sind nicht die einzigen, denen von Anfang an klar ist, wer Jäger auf dem Gewissen hat. Auch Publikumsliebling Jenny Beck (Claudia Wipplinger, A gmahde Wiesn) ist Augenzeugin des Mordes an ihrem Kollegen. Unter den Fittichen ihres ehrgeizigen Vaters Hermann (Hans Brenner, Pension Tosca oder Die Sterne lügen nicht) verrät sie aber niemandem etwas. So wird sie hinter der Fassade der vermeintlich heilen Volksmusikwelt ein wichtiger Teil des Gewirrs aus Korruption, Intrigen und Lügen, das sich im Folgenden auch den Zuschauenden Stück für Stück auftut.
LEITMAYR:Jeden Tag diese Überdosis heile Welt… Wie hält man das aus?
Nicht besonders viel Interesse für diese Scheinwelt zeigen jedoch die Kommissare, und im buntem Durcheinander kommen Batic und Leitmayr, die wie gewohnt von ihrem Assistenten Carlo Menzinger (Michael Fitz) unterstützt werden, mit ihren Ermittlungen auch kaum voran. Dass sie sich musikalisch außerhalb ihrer Komfortzone bewegen, überrascht indes nicht: Jimi-Hendrix-Fan Leitmayr macht es sich gleich zur Mission, Jenny Beck zu einem besseren Musikgeschmack zu bekehren, während sich Batic von Produktionsassistentin Nele Hinrich (Veronica Ferres, Alles Palermo) ablenken lässt.
Der eigentliche Fall gerät so in den Hintergrund und der 300. Tatort wirkt stellenweise reichlich albern. Leitmayr nimmt etwa den kleinen Sohn einer Bekannten mit auf eine Spritztour im Streifenwagen, während in einer anderen Szene slapstickhaft im Zeitraffer ein Fotoshooting der Familie Beck inszeniert wird. Das tut dem Spannungsbogen gar nicht gut. Gleichzeitig verlieren die ernsten Momente des Krimis dadurch ihre Wirkung: Echtes Mitleid mit Schlagersternchen Jenny empfinden wir zu keinem Zeitpunkt, egal wie sehr sie unter ihrem erfolgsbesessenen Vater zu leiden hat.
Wer kein Fan von Volksmusik ist, hat beim Schauen dieser Tatort-Folge dafür selbst zu leiden: Ohne eingängig-eintönige Musikeinlagen aus der Feder von Regisseur Hanns Christian Müller kommt … und die Musi spielt dazu natürlich nicht aus. Und spätestens, wenn zum dritten Mal der Refrain von Jenny Becks Hit „Nur du alloa“ anklingt, können wir die geringe Begeisterung der Ermittlerduos nachvollziehen – und haben den Song auch noch lange nach dem Abspann im Ohr.
Auch der selbstironische Gastauftritt der Toten Hosen, die als „Andi Frege und seine Wasserratten“ mit um den Köpfen kreisenden Pappmöwen einen Seemannssong performen, kann die Folge nicht retten – immerhin sieht man dem Punkrock-Quintett aber an, dass es bei der Aufnahme seinen Spaß hatte. Trotzdem ist es bis heute bei diesem zweiten Cameo-Auftritt in der Krimireihe geblieben (schon 1987 war die Band im Tatort Voll auf Haß zu sehen). Einmal mehr ärgerlich sind die rassistischen Beleidigungen eines Vorgesetzten, der den gebürtigen Jugoslawen Batic (wie in den frühen Folgen des Teams oft zu beobachten) wegen seines „südländischen Temperaments“ ermahnt.
Keine Glanzleistung an Ermittlungsarbeit also, und richtig gelingen will die satirische Kritik an der immerfröhlichen Volksmusikszene auch nicht. Ganz nach dem Motto „Im Leben geht’s auf und nieder, aber des wird scho‘ wieder“, wie es in einem weiteren Lied von Jenny Beck heißt, laufen die Mühlen der Schlagerindustrie schließlich stetig weiter – daran kann auch ein kleiner Mord nichts ändern. Und das Münchner Ermittlerduo hat aufgrund der halbherzigen Ermittlungsarbeit unterm Strich viel Glück, dass sich der Fall am Ende (fast) von ganz allein löst.
Bewertung: 4/10
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