Denn der 388. Tatort nimmt Bezug auf historische Ereignisse, vor allem aber auch auf die Rolle der Medien selbst: Es ist 1998, und Köln erlebt einen Aufruhr. Die Ausstellung „Verbrannte Erde“, das Tatort-Pendant zur Ende der 90er Jahre kontrovers diskutierten Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht, zeigt dort Bilder von Kriegsverbrechen deutscher Soldaten an Zivilisten aus dem Zweiten Weltkrieg.
Natürlich kommen die üblichen Reflexe von rechts-außen und heimattreuen Politikern, die die Fotos gerne zurück in den Giftschrank der Geschichte verbannen würden. In Bildersturm wird das Szenario bis zum Ende durchgespielt: Was ist, wenn die Wutbürger Taten folgen lassen?
Kuratorin Anna Klee (Sabine Vitua, Frauenmorde) wird offen angefeindet und erhält Morddrohungen, was die zu dem Zeitpunkt noch recht unbedarften Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) auf den Plan ruft. Schon bald gibt es zwei Tote: Hinrichtungen mit Genickschuss, umgeben von verbranntem Geld.
Das zweite Opfer soll mit einem Foto aus der Ausstellung erpresst worden sein. Anscheinend hat die Ausstellung schlafende Hunde geweckt: Was wäre, wenn jemand angesichts der Fotos Rache fordert, während sich das Land in Erinnerungskultur zurückzieht? Längst haben es sich die Frontsoldaten von damals in ihrem beschaulichen Nachkriegsleben heimelig gemacht und werden zwischen Kittelschürzen und Kaffeeservice allmählich unempfindlich gegenüber den unbequemen Fragen der jungen Ermittler.
Auch Freddys Onkel Richard (Traugott Buhre, spielt zehn Jahre später in Krumme Hunde auch Professor Karl-Friedrich Boernes Onkel Rudolf), der heutzutage nur noch harmlos in seinem Kiosk sitzt, gerät plötzlich in Gefahr, weil man ihn auf den Fotos zu erkennen glaubt.
SCHENK: Damals im Krieg, das war doch nicht anders. Ich meine, da kann doch irgendwas nicht in Ordnung sein bei einem, der ’ne Familie abschlachtet. Frauen und Kinder. Das sind doch keine normalen Menschen wie du und ich, die sowas machen. Oder wie er. Du glaubst auch, dass er es war?
BALLAUF:
Das spielt jetzt überhaupt keine Rolle.
Freddy – „Alfred!“ – Schenk muss seinen Onkel schützen, sich mit der Vergangenheit seiner Familie auseinandersetzen und auch noch die Provokationen des Jungrechten Robert Hattay (Luc Feit, Wie einst Lilly) ertragen, der Klee terrorisiert und unter Mordverdacht gerät. Die Story hat Sprengkraft: Proliferierende Bilder sind längst selbst zu Waffen geworden, wenn es um politischen Einfluss geht.
Historiker Professor Koning (Hark Bohm), eigentlich der Elfenbeinturm in
Person, pocht auf die Notwendigkeit, die Bilder zu zeigen, und den
Tätern von damals ein Gesicht zu geben. Die TV-Debatte zwischen ihm und einem erzkonservativen CSU-Politiker wirkt im False-Facts-Zeitalter erschreckend realistisch: Bilder werden mittels bewusster Ausschnitte aus dem Kontext gerissen und benutzt, und trotzdem bleibt der in Frontfotos festgehaltene Vernichtungskrieg unangenehme Realität, anhand derer die Kölner Kommissare schließlich ein lange zurückliegendes Verbrechen an Zivilisten rekonstruieren müssen.
Leider fällt die Zeichnung der Hauptfiguren etwas lieblos aus: Ballauf und Klee sind mit ihrer aufdringlichen Betroffenheit und ihrem nervigen Dauergeflirte gerade noch zu ertragen, während Freddy Schenk und seine Tochter Melanie (Birthe Wolter, spielt zehn Jahre später im Stuttgarter Tatort In eigener Sache erstmalig Thorsten Lannerts Nachbarin Lona) leider nur wenig Gelegenheit erhalten, die eigene Zerrissenheit zum Ausdruck zu bringen.
Regisseur Niki Stein, der bereits den direkten Vorgänger Manila inszenierte, bleibt beim klassischen Whodunit und lässt damit das Innenleben der Figuren ein wenig zu kurz kommen. Damit wird er der hochambivalenten Beziehung zwischen der Kriegsgeneration und ihren Nachkommen, dem eigentlich spannendsten Element im vierten Kölner Tatort mit Ballauf und Schenk, unterm Strich nicht ganz gerecht. Retorten-Nazi Hattay wäre später vielleicht Pegida-Anführer geworden, und der 2009 verstorbene Traugott Buhre gibt eindrucksvoll den starrsinnigen Alten, bei dem Vergessen und Verdrängen längst ineinander übergegangen sind.
Die Hass-Graffitis auf einem der Fotos werden schließlich selbst zum Ausstellungsgegenstand: Bildersturm ist ein Film mit interessanten Referenzen, der auch heute noch das schwierige Verhältnis von Medien und Gesellschaft treffend erfasst.
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