Bild: Das Erste

Licht und Schatten

Folge: 416 | 4. Juli 1999 | Sender: WDR | Regie: Wolfgang Panzer

Bild: WDR/Max Kohr
So war der Tatort:
Mustergültig.
Denn der achte gemeinsame Fall der Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) folgt einem klassischen Muster, das als Erfolgsrezept auch Jahrzehnte später noch Bestand hat und das die beiden Ermittler aus der Domstadt zu einem der beliebtesten Tatort-Duos aller Zeiten macht – und dabei durchaus passabel unterhält.
Da passt es ins Bild, dass auch der einleitend Ermordete auf den Namen Muster hört(e): Der Gynäkologe Dr. Robert Muster (Hans-Werner Honert, eigentlich als TV-Produzent aktiv) ist für Schwangerschaftsabbrüche bekannt und wird im Garten seiner Villa auf dem Weg zum Swimmingpool erschossen. Da schwimmt sie nun, die obligatorische Auftaktleiche, und „Kindermörde“ [sic!] hat auch noch jemand mit rotem Lack an seine Hauswand geschmiert.
Das führt uns nahtlos zu Muster Nr. 2: Einem gesellschaftlichen Reizthema, das den inhaltlichen Schwerpunkt der Folge vorgibt und das fleißig diskutiert wird – in diesem Fall allerdings recht uninspiriert, weil die Kölner Kommissare sich im Dienstwagen entweder nicht die Zeit für eine differenzierte Debatte über das Für und Wider der Abbrüche nehmen, oder weil sie im Präsidium einfach eine Talkshow-Aufzeichnung mit Dr. Muster und Abtreibungsgegner Hans Landdorf (Walter Kreye, Voll ins Herz) in den Videorekorder schmeißen. Einfallsloser kann man eine solche Kontroverse in einem Krimi kaum erzählen.
Regisseur Wolfgang Panzer (Direkt ins Herz), der gemeinsam mit Klaus-Peter Wolf (Janus) auch das Drehbuch zu Licht und Schatten geschrieben hat, spiegelt das Kernthema des Films aber auch mustergültig im persönlichen Schicksal des Kölner Ermittlerteams – genauer gesagt in der Vergangenheit von Assistentin Lissy Pütz (Anna Loos), die beim lockeren Pressespiegel-Plausch mit Ballauf wie selbstverständlich erwähnt, dass sie auch mal einen Abort bei (natürlich) Dr. Muster hat durchführen lassen.

PÜTZ:
Er hat mir sehr geholfen.

BALLAUF:
Ja, will ich jetzt gar nicht wissen, geht mich auch nix an.

PÜTZ:

Das wollte der Typ damals auch nicht.


Momente wie dieser sind typisch für den Kölner Tatort der Jahrtausendwende, doch die Filmemacher gehen diesmal sogar noch einen Schritt weiter – und überspannen den Bogen damit heftig. Freddy Schenks Tochter Sonja (Natalie Spinell-Beck), die bereits im Vorgänger Kinder der Gewalt einen Kurzauftritt hatte und von zu Hause ausgerissen ist, ist nämlich ebenfalls schwanger – und steht prompt bei Ballauf auf der Matte, um vorübergehend bei ihm Unterschlupf zu suchen. Später quartiert sich die 15-Jährige mal eben im Haus des ermordeten Gynäkologen ein, weil sie dessen Sohn Rüdiger Muster (Antonio Wannek, Todesschütze) zufällig in der Praxis kennengelernt hat.
Das liest sich reichlich hanebüchen und ist der Glaubwürdigkeit der 416. Tatort-Folge alles andere als dienlich – und überhaupt fällt es uns oft schwer, die Manöver des Teenagers nachzuvollziehen. Warum sollte sie sich ausgerechnet Ballauf anvertrauen, den sie nur flüchtig kennt, wenn dort die Gefahr der Entdeckung am größten ist? Das wirkt nicht schlüssig und überhaupt bringt Schenks verzweifelte Suche nach seiner abtrünnigen Tochter die sonst so solide Episode allenfalls emotional voran. Es wird gebrüllt, es wird gestritten und es wird sich umarmt – die Suche nach dem Mörder und der Auflösung der vorhersehbaren Whodunit-Konstruktion tritt dabei aber auf der Stelle.
Licht und Schatten ist dennoch ein Tatort, in dem sich Licht und Schatten die Waage halten, weil auch positive Aspekte zu nennen sind: Langweilig ist dieser Krimi zu keinem Zeitpunkt, was auch daran liegt, dass Schenks Betroffenheit der Angelegenheit spätestens beim dramatischen Finale (in dem Ballauf seine Qualitäten als Scharfschütze unter Beweis stellen darf) zusätzliche Würze verleiht. Die Geschichte gerät zwar etwas kitschig, aber sie hat Herz. Sie punktet mit einer steilen Spannungskurve und mit Fernsehlegende Monika Woytowicz (Nur ein Spiel) in der Rolle der betrogenen Gynäkologengattin zählt in einer wichtigen Nebenrolle eine erstklassige Schauspielerin zum Cast, die leider etwas wenig Raum zur Entfaltung bekommt.
Zu entdecken gibt es außerdem den jungen Robert Stadlober (als gelbhaariger Punk Freddy Knopf) und die junge Alexandra Kamp (als rothaarige Klischee-Sekretärin), die Freddy Schenk wahnsinnig schlecht gealterten 90er-Jahre-Sexismus entlocken darf („Tippse – hübscher Leckerbissen!“). Von Sonja Schenk müssen wir uns hingegen über 20 Jahre lang verabschieden: Sie feiert erst 2023 im Tatort Schutzmaßnahmen ein Comeback an der Seite ihres ergrauten (und deutlich ausgeglicheneren) Vaters.
Bewertung: 5/10

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert