Folge 462
28. Januar 2001
Sender: ORF
Regie: Walter Bannert
Drehbuch: Peter Zingler
So war der Tatort:
Malerisch.
Doch anders als im starken Vorgänger Passion, in dem die prachtvolle Postkartenkulisse der Tiroler Alpen erstmalig als Setting für einen Tatort diente, ist das diesmal wörtlich zu verstehen: Nach seiner Rückkehr ins graue und kalte Wien ermittelt Chefinspektor Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) bei seinem fünften Tatort-Einsatz im Umfeld einer Kunstausstellung, auf der Werke des österreichischen Malers Egon Schiele gezeigt werden. Die birgt Brisanz: Insbesondere zwei Bilder, die seit dem Zweiten Weltkrieg als verschollen galten und erst vor wenigen Jahren wieder auftauchten, erregen das Interesse der Öffentlichkeit.
Noch während der Eröffnungsveranstaltung kommt es zum Eklat: Die amerikanische Jüdin Ester von Steinhof (Sam Sorbo) erhebt über ihren Anwalt Dr. Manfred Reichel (Werner Prinz, Deckname Kidon) Anspruch auf die beiden Bilder, die sich im Besitz ihrer Familie befanden, ehe die Nazis sie beschlagnahmten. Auch der grantelnde Eisner, den diesmal eine mögliche Krebsdiagnose belastet und der sich mehr für die bereits in Der Millenniumsmörder von ihm umgarnte Pathologin Dr. Renata Lang (Gundula Rapsch) interessiert als für die ausgestellten Kunstwerke, wird Zeuge des Vorfalls.
Noch in derselben Nacht werden sechs Bilder aus der Ausstellung gestohlen. Ein Wachmann kommt bei dem Raub zu Tode, ein weiterer schwer verletzt ins Spital. Eisner und seine Teammitglieder Suza Binder (Loretta Pflaum) und Norbert Dobos (Alois Frank) werden auf den Fall angesetzt und der Boden für einen kniffligen Kriminalfall ist eigentlich bereitet:
Recht hat er, der Eisner, denn die Geschichte von Drehbuchautor Peter Zingler (Restrisiko) liefert wenig, was an die spannenden Akte-X-Fälle mit Mulder und Scully erinnert. Unheimlich ist allenfalls, wie uninspiriert sich die Handlung schnell und einzig auf Professor Gerold Stanitzky (Johannes Silberschneider, Kein Entkommen), den Organisator der Ausstellung, konzentriert. Angetrieben vom vor Überheblichkeit nur so strotzenden Versicherungsagenten Dr. Hans Swoboda (Anton Pointecker, Elvis lebt!), der auf eigene Faust mit den Dieben verhandelt, um die Versicherungssumme zu drücken, lässt er sich auf ein gefährliches Spiel ein. Nach und nach verliert Stanitzky die Kontrolle und liefert damit die Steilvorlage für den Krimititel: Schon bald hat er Nichts mehr im Griff.
Seine schwangere Lebensgefährtin Angelika Bojahn (einziger Tatort-Auftritt: Katharina Böhm) verfolgt das Treiben mit Unverständnis und Sorge. Ebenso Eisner, der den Ereignissen lange hilflos hinterherläuft und mit seinem Team nicht immer glänzt: Neben einer peinlich-sorglosen Wachübergabe im Krankenhaus, die dramatische Folgen nach sich zieht, ist es auch der irritierende Auftritt von Gruppeninspektorin Binder, die ähnlich wie im Erstling Nie wieder Oper vor allem mit modischen Auffälligkeiten in Erinnerung bleibt und beim Versuch, einen Krapfen zu essen, beinahe erblindet. Solche seltsam unlustigen Szenen lassen uns ratlos zurück.
Ähnlich rätselhaft bleibt der von der eigentlichen Handlung abgekoppelte Erzählstrang um die schon eingangs erwähnte, etwas entrückt auftretende Jüdin Ester von Steinhof: Die junge Frau, die extra aus Amerika angereist ist, um ihr angebliches Familienerbe zurückzufordern, streift naiv-freundlich durch Wien. Von dem Besuch im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes abgesehen, wandelt sie eher touristisch auf den Spuren ihrer Vorfahren. Was sie antreibt, erfahren wir nicht. Nur eines von mehreren losen Enden, die die selten mitreißende Inszenierung von Walter Bannert (Kinderwunsch) nicht zusammenführen kann.
Nichts mehr im Griff krankt in Sachen Figurenzeichnung aber auch noch an anderer Stelle, und das ganz erheblich: Spätestens mit dem Auftritt des bis in die Lächerlichkeit überzeichneten, stets von seinem wortkargen Handlanger Angelo (Ferdinando Chefalo) begleiteten Klischee-Mafiosis Giovanni Leone (Roland Selva) gerät der Film beinahe zur Parodie. Leones italienische Fluchgewitter verbreiten weder Angst noch Schrecken, er gleicht eher einer Witzfigur.
So dauert es bis zum Schlussdrittel, ehe die 462. Tatort-Folge, die mit arisierter Kunst und Fälschungen berühmter Gemälde zumindest ein angenehm unverbrauchtes Thema behandelt, etwas kriminalistische Kontur bekommt und sich sogar eine überraschende Schlusspointe abzeichnet. Damit lässt sich der letzte Fall von Binder und Dobos, die beide künftig nicht mehr an Eisners Seite ermitteln, durchaus mit der Betrachtung eines Schiele-Bilds vergleichen: thematisch interessant und auf den ersten Blick faszinierend, doch bei genauerer Betrachtung nicht wirklich ausgereift, mitunter fragwürdig und teilweise bis zur Entstellung überzeichnet.
Bewertung: 4/10
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