Folge 509
1. September 2002
Sender: WDR
Regie: Hans Noever
Drehbuch: Horst Vocks
So war der Tatort:
Einzelkämpferisch.
Und das gilt nicht nur für Hauptkommissar Freddy Schenk (Dietmar Bär), bei dem der Haussegen mal wieder gehörig schief hängt – dass es zwischen ihm und seiner Gattin kriselt, ist im Kölner Tatort schließlich nicht ungewöhnlich. Diesmal wird der Ermittler aber sogar vor die Tür gesetzt, und ein freies Bett gibt es nur noch in der kargen Pension, in der auch sein Kollege Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) wohnt. Harte Zeiten. Doch im Vergleich mit den vom Schicksal gebeutelten Figuren der 509. Tatort-Folge, die als ambitionierter Agententhriller unterm Strich nur bedingt überzeugt, kommt Schenk sogar noch gut weg.
Der Mord an einem Diplomaten des Auswärtigen Amtes bildet dabei den Auftakt für ein wenig mitreißendes Katz- und Mausspiel. Die Ermittlungen rufen eine ganze Reihe trauriger Gestalten auf den Plan, die sich allein durchs Leben schlagen (müssen): Allen voran Top-Manager Axel König (Johan Leysen), der einst in Kolumbien entführt wurde und noch immer mit den psychischen Folgen und dem Tod seiner Frau zu kämpfen hat.
König hatte sich über den nun ermordeten Diplomaten beschwert, da dieser das von König beschaffte Lösegeld angeblich unterschlagen hatte und indirekt für den vermeintlichen Tod von Karoline Schmidt (Bibiana Beglau, Ich hab im Traum geweinet), einer Mitarbeiterin des Auswärtigen Amtes, verantwortlich ist. Sie hatte sich als Austauschgeisel zur Verfügung gestellt. Schmidt aber ist gar nicht tot – und wird in diesem Krimi einleitend erneut zur Lebensretterin, als sie den Suizidversuch der fünfzehnjährigen Sandra (Stephanie Charlotta Koetz, Kleine Diebe) verhindert. Und sie wird zur Hauptverdächtigen.
Drehbuchautor Horst Vocks (eigentlich: Horst Söhnlein), der Ende der 60er Jahre gemeinsam mit den späteren RAF-Terroristen Andreas Baader und Gudrun Ensslin Brände in Kaufhäusern gelegt hatte und mit Verrat seine erste und einzige Arbeit für die Krimireihe ablieferte, entspinnt eine zwar reizvolle, aber auch reichlich konstruierte Geschichte, deren größte Schwäche die mangelhafte Figurenzeichnung ist. Die meisten Charaktere bleiben uns fremd, Sympathien entwickeln wir – trotz berührender Schicksale – kaum. Das liegt auch daran, das ihr Verhalten oft seltsam beliebig wirkt. Am stärksten fällt das bei Schmidt ins Gewicht, deren humorlos-distanzierte Art uns bisweilen das Blut in den Adern gefrieren lässt. Da wollen sentimentale Äußerungen wie die folgende so gar nicht zu ihr passen.
Ähnlich unglaubwürdig wirkt der Umstand, dass die Profikillerin die selbstmordgefährdete Sandra, die gerade erst ihre geliebte Mutter verloren hat, mal eben unter ihre Fittiche nimmt. Kein Zögern, keine Zweifel, keine Diskussionen. Die zwei Frauenfiguren, die unterschiedlicher kaum sein könnten, bilden eine interessante Konstellation, keine Frage. Doch das darin liegende Potenzial wird leider verschenkt. Die kleine Hommage an Luc Bessons Klassiker Léon – Der Profi von 1994 ist dennoch unverkennbar.
Abgesehen davon inszeniert Regisseur Hans Noever (Im Herzen Eiszeit) mit seinem bis heute letzten Werk einen soliden, aber eher biederen Film ohne größere Überraschungsmomente. Dafür liest sich die Liste der Nebendarsteller durchaus hochkarätig: Neben Maria Simon, die von 2011 bis 2021 als Hauptkommissarin Olga Lenski im Polizeiruf 110 des rbb ermittelte und hier die Studentin Lisa Mattern mimt, ist auch Thomas Thieme (Das Dorf) als BND-Agent Herbert Kroll zu sehen. Kroll versorgt Ballauf und Schenk mit Informationen, ist aber nie ganz zu durchschauen. Diesen Figuren gestehen die Filmemacher allerdings wenig Zeit vor der Kamera zu, vielmehr verliert sich der Film zu oft in Nebenschauplätzen.
Denn da ist die bereits erwähnte Ehekrise im Hause Schenk, über die der Betroffene selbst gerne den Mantel des Schweigens legen würde („Du hast die ganze Zeit schon diesen Freddy-sag-doch-was-Blick drauf. Ich will nichts hören.“). Staatsanwalt von Prinz (Christian Tasche) droht die Scheidung, wenn er nicht mit seiner Frau in den Urlaub fährt. Und Assistentin Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt) hegt Zweifel an ihrer neuen Liebschaft: Sie hackt sich heimlich ins Computersystem der Kripo, um ihren neusten Lover zu überprüfen. Schließlich nimmt sich Ballauf ungefragt der Sache an – und wohin das führt, ist genauso vorhersehbar wie die Antwort auf die Frage, ob Schenk wohl am Ende zu seiner Gattin zurückkehrt.
Immerhin: Als Whodunit funktioniert Verrat sehr passabel. Wer den Diplomaten erschossen hat, bleibt bis in die Schlussminuten offen und die bewegende Performance des 2023 verstorbenen (und in Deutschland eher unbekannten) Johan Leysen ragt aus einem über weite Strecken sehr mittelmäßigen Krimi heraus.
Bewertung: 5/10
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