Folge 540
14. September 2003
Sender: WDR
Regie: Manfred Stelzer
Drehbuch: Scarlett Kleint, Roswitha Seidel
So war der Tatort:
Schnell kriminell.
Und das nicht nur, weil im 26. Fall der Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) schnelle und teure Autos von der Kamera eingefangen werden. Das allein wäre nicht unbedingt eine Erwähnung wert, schließlich ist der autoaffine Schenk ja für seine ausgefallenen Dienstwagen bekannt. Diesmal sind die flotten Flitzer vielmehr ein wichtiger Teil der Ermittlungen und Schenk auch deswegen persönlich in den Fall involviert.
Ballauf wiederum staunt nicht schlecht, als die Leiche der verwitweten Autohausinhaberin Barbara Sylvester gefunden wird und Schenk die Erstochene erkennt: Sein Bekannter, der Autofreak Wolf-Dieter Lachner (Michael Brandner, Unter uns), arbeitet zufälligerweise im Autohaus der Toten und sieht sich dort bereits als Nachfolger ihres verstorbenen Gatten. Und er mausert sich direkt zum Hauptverdächtigen par excellence, weil er den Tresor der Firma ausgeräumt und mit dem Inhalt scheinbar das Weite gesucht hat. Auf den windigen Autoverkäufer will der loyale Schenk jedoch partout nichts kommen lassen.
In einem temporeichen Auftakt voller knackig-witziger Dialoge, in dem passenderweise Chris Reas The Road to Hell zu hören ist, bleibt das aber nicht die einzige Bewährungsprobe für Philanthrop Schenk und seine Menschenkenntnis. Denn da ist auch der jugendliche Straftäter David Brunner (Florian Riedel), den der Kommissar (ebenfalls!) noch von früher kennt und der nun als Lehrling in der Werkstatt des Autohauses arbeitet, um resozialisiert zu werden. Ein auf den ersten Blick sympathischer Kerl mit großer Klappe, aber düsterer Vergangenheit.
Brunner lebt im titelgebenden Bermuda, einer Wohngruppe für schwererziehbare Jugendliche. Dort fristet überraschenderweise auch die Tochter des Opfers, Winifred „Winnie“ Sylvester (Paula Kalenberg, Tote Erde), ein wenig geregeltes Dasein. Statt ihrem Job im Zoo nachzugehen, zieht sie mit ihrer anhänglichen und bestimmenden Freundin Marlott (Marie-Luise Schramm) durch die Straßen und erleichtert ältere Männer durch verführerisches Wimpernklimpern in Lolita-Manier um deren Geldbörsen. Komplettiert wird die wilde WG vom ängstlich-impulsiven Zirkusfan und Messerwurf-Talent Philipp Rabe (stark: Sergej Moya, Hilflos), der sich bei Stress einnässt.
Die Drehbuchautorinnen Roswitha Seidel und Scarlett Kleint, die mit Leiden wie ein Tier zwei Jahre später noch ein weiteres Skript zur Krimireihe beisteuert, schenken insbesondere den Abläufen und Zuständen im Bermuda viel Aufmerksamkeit und sparen dabei – sehr typisch für den Tatort aus Köln – nicht mit Sozialkritik. Wie Schiffe im Bermudadreieck verschwinden die jungen Straftäter schnell von der Bildfläche der Gesellschaft und werden praktisch vergessen. Die Kids sind auch größtenteils auf sich alleine gestellt: Ihr pädophil angehauchter Betreuer Michael Kramer (Ulrich Gebauer, Der Inder) lässt sich selten blicken.
Unter solider Regie von Manfred Stelzer (Hinkebein) entsteht ein klassischer und reizvoller Whodunit, dessen Auflösung am Ende nicht ganz überraschend ausfällt. Die Suche nach Motiv und Mörderin oder Mörder verlagert sich ins Bermuda, und hier liegt die größte Schwäche der 540. Tatort-Folge: In Sachen Realismus bietet sie viel Angriffsfläche. Ballauf und Schenk gehen in der WG ein und aus, befragen Minderjährige ohne juristischen oder erzieherischen Beistand und sind in Sachen Umgangsformen nicht zimperlich. Gerade Ballauf mangelt es häufig an Einfühlungsvermögen, etwa wenn er dem gutgläubigen Philipp seinen geliebten Messergürtel abnimmt. Zudem lässt man die Kölner Jugendlichen hier und da Berliner Schnauze sprechen – offenbar der irritierende Versuch, ihren ungehobelten Charakter zu unterstreichen.
Bermuda ist dennoch ein sehenswerter Tatort, nicht zuletzt auch, weil die Jungstars Paula Kalenberg, Marie-Luise Schramm und Sergej Moya ihr großes schauspielerisches Potenzial andeuten, das sie in den Jahren danach in zahlreichen TV-Produktionen zeigen dürfen. Enttäuschend sind dafür die Auftritte der Figuren aus der zweiten Reihe: Assistentin Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt) wird kurz an der Wurstbude vorstellig und ansonsten vor allem mit einem Job als Paketbotin eines Bademantels betraut. Staatsanwalt von Prinz (Christian Tasche) und Pathologe Dr. Roth (Joe Bausch) gesteht man sogar nur eine einzige Szene zu.
Bewertung: 6/10
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