Folge: 552 | 21. Dezember 2003 | Sender: HR | Regie: Nikolaus Stein von Kamienski
Bild: HR/Bettina Müller |
So war der Tatort:
Ausschweifend – und das gleich in doppelter Hinsicht.
Da ist zum einen der in jeder Hinsicht über die Stränge schlagende Bankier Petzold (Ulrich Tukur, Das Dorf), das personifizierte und titelgebende Böse, dessen ausschweifende Lebensweise jede mittelschwere Midlife Crisis in den Schatten stellt und um den sich in Das Böse alles rankt.
Das charismatische Enfant Terrible, das in seinem Umfeld eine stattliche Anzahl Leichen anhäuft und von den Frankfurter Hauptkommissaren Charlotte Sänger (Andrea Sawatzki) und Fritz Dellwo (Jörg Schüttauf) bei deren drittem gemeinsamen Einsatz trotzdem nie in Untersuchungshaft genommen wird, macht nicht nur Sänger schöne Augen, sondern nötigt auch drogensüchtige Prostituierte zum Analverkehr, verzweifelte Geschäftspartnerinnen zum Entkleiden auf dem Beifahrersitz und Busfahrer zu Vollbremsungen, weil er mit seinem silbernen Cabrio sorglos bei Rot über die Ampel brettert.
Regisseur und Drehbuchautor Niki Stein (Pauline), der auch für die Frankfurter Vorgänger Oskar und Frauenmorde verantwortlich zeichnet, verzichtet auf das gewohnte Whodunit-Prinzip und macht von Beginn an keinen Hehl daraus, dass mit dem späteren Tatort-Kommissar Ulrich Tukur mal wieder der prominenteste Nebendarsteller den Mörder mimt.
Dass Sänger und Dellwo den umtriebigen Hauptverdächtigen nicht schon nach dem ersten Mord zur Gegenüberstellung mit der einzigen Zeugin bitten, ist hier einzig der Dramaturgie geschuldet und will nicht wirklich einleuchten, schließlich mangelt es trotz zahlreicher Indizien und vieler merkwürdiger Zufälle an den nötigen Beweisen, um den gefährlichen Petzold hinter Gitter zu bringen.
Ausschweifend ist aber leider auch das Drehbuch, denn Niki Stein eröffnet im 552. Tatort gleich ein halbes Dutzend Nebenkriegsschauplätze: Die Liaison zwischen Dellwo und der namenlosen Gerichtsmedizinerin (Iris Böhm), Sängers Ärger mit dem kranken Vater (Hans Weicker), das große Tanzturnier, bei dem auch Staatsanwalt Dr. Scheer (Thomas Balou Martin) und Chef Werner „Rudi“ Fromm (Peter Lerchbaumer) die Daumen drücken, Fromms peinliche, spontane Liebeserklärung an Sänger, Dellwos verpatzter Hausverkauf, der Auszug aus dem Polizeipräsidium: ein bisschen viel für neunzig Tatort-Minuten.
Eigentlich bringen nur die ständigen Querelen mit Sängers störrischem Vater die Geschichte wirklich voran – das dann aber so richtig, denn sie bilden den Nährboden für einen dramatischen Showdown, der den Zuschauer zwar nicht ganz unerwartet, aber mit voller Wucht in der Magengrube trifft. Der Grat zwischen unfreiwilliger Komik und tragischem Schlussakkord ist hier verdammt schmal, zumal offensichtlich populäre Hollywoodvorbilder wie David Finchers Sieben, an den schon in Frauenmorde Erinnerungen wach wurden, Pate für den Schlussakkord standen. Hätten die Filmemacher sich stärker auf den besten Handlungsstrang konzentriert – aus Das Böse hätte ein echter Klassiker werden können.
Neben Andrea Sawatzki, die sich diesmal wackere achtzig Minuten ohne verdrückte Träne hält, und dem einmal mehr blendend aufgelegten Ulrich Tukur glänzt nämlich auch Barbara Philipp als herrlich abgefuckte Prostituierte Nina Grote. Da kommt es nicht von ungefähr, dass Tukur und Philipp sich knapp sieben Jahre später in Wie einst Lilly als neues Ermittlergespann in Wiesbaden erneut vor der Kamera begegnen.
Bewertung: 7/10
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