Folge 583
12. Dezember 2004
Sender: BR
Regie: Martin Enlen
Drehbuch: Robert Hültner, Gisela Weilemann
So war der Tatort:
Beklemmend.
Denn ihr 39. Fall führt die Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) ins trostlose Münchner Schlachthofviertel mit seiner entfremdeten Einwohnerschaft, die selbst ein Mord kaum aus der Bahn zu werfen scheint. Hier kennt man sich zwar, aber mag sich nicht wirklich, und schert sich auch wenig darum, was nebenan passiert.
Bevor wir die Vorstädter besser kennenlernen, eröffnet Regisseur Martin Enlen (Tod auf der Walz) den 583. Tatort mit einem künstlerisch-romantischen Prolog: Ein junges Paar vom Land genießt während seines Urlaubs in München eine Opernaufführung. Burgi Wieser (Julia Heinze, Ein Tag wie jeder andere) ist vom gefühlvollen Gesang gar so gerührt, dass ihr Tränen übers Gesicht strömen. Auf dem Heimweg gerät sie mit ihrem Verlobten Simon Schwendtner (Johann von Bülow, Damian) in ein Gewitter, was den Verliebten aber nicht die Laune verdirbt: Sie retten sich in die Gaststätte „Friedenseiche“, wo zur späten Stunde außer Wirt Adi Duswald (Franz Buchrieser, Doppelspiel) und Kellnerin Gundi Bichler (Anna Brüggemann, Kaputt) nur noch eine kleine Stammtischrunde weilt. Als die beiden eintreten, weicht die Heiterkeit plötzlich einer bedrückenden Stille – aber nachdem das Paar erst misstrauisch beäugt wird, fordern die Einheimischen es schließlich freundlich auf, sich zum Stammtisch dazuzugesellen. Schnitt.
Ein halbes Jahr später ist ganz München im Fußballfieber. Die Bayern spielen gegen Real Madrid und in der Friedenseiche haben sich Dutzende Fans zum Public Viewing versammelt. Mit dabei ist natürlich die Stammtischrunde, bestehend aus Hermann Ganser (Philipp Sonntag, A gmahde Wiesn), Feri Schegger (Michael Tregor, Das Glockenbachgeheimnis) und Xaver Ostler (Leopold Gmeinwieser, Als gestohlen gemeldet). Letzterer begibt sich irgendwann aufs stille Örtchen und taucht nicht wieder auf – bis der Wirt ihn erhängt im Keller auffindet. Ein Selbstmord war es nicht, und deshalb sind Batic und Leitmayr gefragt: Die zwei finden heraus, dass Ostler nicht gerade für seine harmonische Art bekannt war. Mit seinen Freunden vom Stammtisch war er so sehr aneinandergeraten, dass der Streit vor Gericht ging. Und bei Kellnerin Gundi war er verhasst, weil er in der Beziehung gegenüber ihrer Mutter Fanny (Monika Baumgartner, Schrott und Totschlag) gewalttätig wurde.
Stück für Stück erhalten wir so Eindrücke von diesem Teil der titelgebenden Münchner Vorstadt und seinen resignierenden Menschen, die nur noch im Kleinen ihr Glück suchen – ob durch Kleinkriminalität, den täglichen Kneipenbesuch oder im zerstrittenen Gesangsverein. Dieser beklemmende Gesamteindruck geht auch am Ermittlerduo nicht vorbei:
Vom Ausbruch aus diesem Umfeld träumt allein noch Gundi Bichler, die unterstützt von ihrem Gesangslehrer Karl Worschak (rührend: Ernst Stankovski, Das Archiv) für die Aufnahmeprüfung im Konservatorium übt und das musikalische Leitmotiv der Vorstadtballade durch das Krimidrama trägt. Ihre Hoffnung auf die große Gesangskarriere bildet einen Lichtblick in der sonst trüben Stimmung, ebenso wie die üblichen Neckereien zwischen Batic, Leitmayr und Assistent Carlo Menzinger (Michael Fitz), die diese Folge bitter nötig hat – selbst wenn die Darstellung der gescheiterten Existenzen im Viertel manchmal ins Komische abrutscht.
Die Drehbuchautoren Robert Hültner und Gisela Weilemann lassen die Spannung auf durchaus ungewöhnliche Weise entstehen: Wer den Mord begangen haben könnte, ahnt man schnell. Rätselhaft bleiben aber lange die genauen Beweggründe, und mit der Zeit beschleicht uns eine beklemmende Vermutung, die die eigenartige Atmosphäre der Münchner Vorstadt noch potenziert. So ist dieser Tatort auch Jahrzehnte nach seiner TV-Premiere von großer Aktualität, zeigt er doch auf, wie eine einzelne Tat gleich mehrere Opfer fordern und trotzdem lange ohne Konsequenzen bleiben kann. Das Unverständnis, das die Kommissare im Verlauf ihrer Ermittlungen an den Tag legen, wirkt zwar wenig sympathisch, dafür aber umso realitätsnäher.
Als Milieustudie und Gesellschaftskritik ist Vorstadtballade äußerst gelungen, wozu auf Seiten des Casts allen voran die überragende Anna Brüggemann mit ihrer ergreifenden Darstellung der Gundi beiträgt. Zumindest vom nicht-bayrischen Publikum erfordert das Zuhören dank dick aufgetragener Dialekte aber höchste Konzentration und auch die Auswahl der Figurennamen ist fordernd-kurios: Angesichts von Burgi und Gundi, Schegger und Schwendtner oder Bichler und Ostler verstärkt sich bisweilen der Eindruck, wir hätten hier eine shakespearesche Verwechslungskomödie statt eines Sonntagskrimis eingeschaltet. Im Interesse der Folge hätten die Filmschaffenden es uns da ruhig ein wenig leichter machen können.
Bewertung: 8/10


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