Rolf von der Heydt

Tod auf der Walz

Folge: 613 | 6. November 2005 | Sender: BR | Regie: Martin Enlen

Bild: Avista Film/BR/Rolf von der Heydt
So war der Tatort:
Bayrisch-traditionell.
Denn zwischen Tippelbrüdern, Erwanderungen und Kuhköppen fordert diese Folge nicht nur das (nicht-bayrische) Publikum, sondern auch die Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) sprachlich besonders heraus. Die Ermittlungen im 41. Fall des Münchner Teams samt Assistenten Carlo Menzinger (Michael Fitz) führen weit hinaus ins rustikale Umland der Landeshauptstadt und ins Milieu der wandernden Handwerksgesellen, die ihren eigenen „Schnack“ haben und nach althergebrachten Bräuchen leben.
Entsprechend idyllisch-pastoral beginnt der 613. Tatort: Begleitet von Mundharmonika-Musik beginnt der junge Zimmermann Mario Leitgeb (Tristano Casanova) beschwingt wie nervös seine Walz und lässt sein (fiktives) Heimatdorf Wurmannsreuth hinter sich. Kurz darauf findet man ihn tot unter einer Münchner Eisenbahnbrücke. Was wie ein Selbstmord aussehen soll, stellt sich schnell als deutlich komplexer heraus: Leitgeb wurde erschlagen. Danach wurde seine Leiche irgendwo hinuntergestürzt und schließlich unter der Brücke deponiert.
Vor diesem Leichenfund erlaubt uns Regisseur Martin Enlen (Das Glockenbachgeheimnis) einen kurzen Einblick in das Leben des blauäugigen jungen Mannes: Wie er sich von seiner besorgten Mutter Anny (Johanna Bittenbinder, Der Traum von der Au) verabschiedet, wie er in die Gemeinschaft der Tippelnden Brüder Hoffnungsschacht aufgenommen wird, wie er auf der Baustelle seines aktuellen Arbeitgebers Pirner (Anton Rattinger, Geld oder Leben) dessen Geldtasche klaut. Stets an Marios Seite ist sein Freund und Kollege Gerry Neuner – dargestellt von Maximilian Brückner, der später für sieben Fälle als Hauptkommissar Franz Kappl in Saarbrücken vor der Kamera steht, unter anderem im Tatort-Meilenstein Verschleppt.
Mario und Gerry wollen in der Herberge von Kolo Koidl (Elmar Wepper, Ende der Vorstellung) Marios Aufnahme in die Handwerkervereinigung feiern, doch als Franziska Brandl (Lisa Maria Potthoff, Hexentanz) eintrifft, kippt die Stimmung. Die junge Frau ist ebenfalls auf der Walz und war früher Marios Nachbarin im kleinen Wurmannsreuth. Aus Verliebtheit ist er ihrem Vorbild gefolgt und muss nun mit Entsetzen feststellen, dass sie inzwischen mit Gerry angebandelt hat.
So wissen wir schon etwas mehr über mögliche Konflikte, die zu Mario Leitgebs Tod geführt haben könnten, während sich Batic und Leitmayr erstmal mit dem Leben der Zimmerergesellen vertraut machen und vor allem die Sprachbarriere überwinden, die sich durch das spezielle Vokabular der Walzbrüder selbst für den gebürtigen Bayern Leitmayr auftut. Stück für Stück erarbeiten sie sich diese Welt abseits der Großstadt, die im krassen Gegensatz zu ihrem üblichen Umfeld steht: urbayrisch, oft übertrieben verschroben und hinterwäldlerisch. Hier hält man nichts von handwerkenden Frauen, trinkt tagein tagaus in der Gaststätte Bier und glaubt fest daran, dass Franzi mit einem Fluch belastet ist, der schon zwei Männer das Leben gekostet hat.

BATIC:
Da hast du dein Bayern: Helles Bier und finsterer Aberglaube.


Wenngleich das ländliche Umfeld stark überzeichnet ist: Die beschauliche Szenerie und die große Portion Lokalkolorit sorgen für eine willkommene Abwechslung im Vergleich zu anderen Fällen des Münchner Teams. Von der Stadt an der Isar sieht man in dieser Folge kaum etwas. Gleichzeitig driftet Tod auf der Walz aber dank der gar nicht so friedvollen Handlung keineswegs in die Richtung seichter Vorabend-Formate wie „Die Rosenheim-Cops“ ab. 
Drehbuchautor Markus Fenner (Gesang der toten Dinge) baut vielmehr ein verwickeltes Beziehungsgeflecht auf: Jeder hat mit jedem etwas zu tun und niemand scheint ganz unschuldig zu sein. Obwohl wir mehr wissen als die Kommissare, fällt es uns sehr schwer, dem wilden Durcheinander zu folgen. Eine realistische Möglichkeit zum Mitraten in diesem Whodunit erhalten wir nicht. Zwei unerwartete Wendungen zum Schluss sorgen zwar für gelungene Überraschungsmomente, führen die losen Enden aber auch etwas zu perfekt zusammen.
Dass trotzdem Spannung entsteht, ist zu großen Teilen Lisa Maria Potthoffs toller Darstellung der Zimmerin Franzi Brandl zu verdanken. Überzeugend und einfühlsam spielt sie eine junge Frau, die von ihrer Vergangenheit nicht losgelassen wird und gegen die sich alle verschworen zu haben scheinen, während sie nur ihren Platz in der Welt finden möchte. Als sie von der Sympathieträgerin zur Hauptverdächtigen wird, verstärkt das unser Mitfiebern erst recht. 
Für (flache) Unterhaltungsmomente sorgt ansonsten das Sich-Lustig-Machen der großstädtischen Kommissare über das Landleben: Für den Undercover-Einsatz im Holzfällerhemd wählen sie Leitmayr per Nagelwettbewerb aus und küren ihn kichernd zum „Chefnagler von Wurmannsreuth“. Heile Welt herrscht also eher im Münchner Polizeipräsidium als auf dem idyllischen Land.
Bewertung: 6/10

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