Bild: BR/TV60Filmproduktion GmbH/Julia von Vietinghoff

Liebeswirren

Folge 705

28. September 2008

Sender: BR

Regie: Tobias Ineichen

Drehbuch: Christian Limmer

So war der Tatort:

Völlig alltäglich.

Dieser Meinung sind die Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) zumindest zu Beginn der 705. Tatort-Folge, die in der Schwulenszene spielt – ein Umstand, den das Duo einerseits als selbstverständlich hinzunehmen scheint, mit dem es sich aber sichtlich unwohl fühlt. Der ganze Krimi spiegelt ihren unbeholfenen Versuch, sich an eine Lebensrealität heranzutasten, die so exotisch gar nicht ist.

In diesem Jubiläumsfall – es ist ihre 50. Folge – wird die Leiche des Fotografen Fritz Alt (Andreas Renell) gefunden, in der Nähe des Schwulenclubs Gordy‘s, in dem das Opfer in der Nacht zuvor mit seinem Ex-Freund Ralf Kleinmann (Jan Messutat, Der letzte Patient) stritt und vergeblich auf eine Verabredung wartete. Rechtsmediziner Bruno (Stefan Wilkening) lässt die Ermittler bereits am Tatort wissen, dass sie diesmal aus ihrer Routine ausbrechen müssen – und behält Recht. Er ist wohl auch homosexuell, wenngleich Drehbuchautor Christian Limmer (Schwarzer Advent) es Bruno nicht erlaubt, das offen zu äußern.

Batic und Leitmayr stoßen in unbekannte Gefilde vor und finden heraus, dass Alt vor seinem Tod regelmäßig einen Online-Chatroom nutzte: Unter dem Alias „Shooter“ stand er mit einer Person namens „Lupo“ in Kontakt, bei der es sich wohl um sein Date aus der Mordnacht handelt. Auch wenn der Chatroom mit seinen pixeligen 3D-Avataren aus heutiger Sicht arg antiquiert anmutet, sind Batic und Leitmayr damit technisch überfordert: Mehr durch Zufall finden sie heraus, dass hinter „Lupo“ der Familienvater Gerd Weißenbach (Christoph Waltz, Schlaflos in Weimar) steckt, der ein gewöhnliches Vorstadtleben führt.

Dieser Schein trügt jedoch, denn seine Frau Carla (Susanne Schäfer, Hart an der Grenze) ahnt, dass er eine Affäre hat. Auch Tochter Frieda (Lena Dörrie, Ein Tag wie jeder andere) hat längst bemerkt, dass ihre Eltern keine glückliche Ehe mehr führen, während Sohn Werner (Joel Basman, Kriegssplitter) sich von seinem ständig abwesenden Vater im Stich gelassen fühlt. Deshalb hat die gesamte Familie – einschließlich des Vaters, der vom Ermordeten zur Scheidung von seiner Gattin gedrängt wurde – in diesem klassischen Whodunit ein Mordmotiv.

Auf der Suche nach Kleinmann lernt Batic das schwule Pärchen Tim (Franz Dinda, Frühstück für immer) und Tom (Oliver Bürgin, Geburtstagskind) kennen, deren Namen allein schon andeuten, wie karikaturesk sie das Drehbuch angelegt hat. Immerhin entwickelt der Kommissar Sympathie für die beiden, denn so verliert die Schwulenszene für Batic ihren Schrecken: Queere Menschen sind ja ganz normale Leute! Leitmayr tut sich deutlich schwerer und fühlt sich bei einem Undercover-Einsatz sichtlich unwohl – ein alltäglicher Fall ist es also nicht, was ihnen Tom auch nochmal vor Augen führt.


TOM:
Wenn so ’ne alte Tunte abgestochen wird, interessiert das niemanden.

BATIC:
Na, ich denke mal, die behandeln den Fall wie jeden anderen.

TOM:
Hey wach auf, die Polizei ist immer noch ein Männerverein, genau wie die Bundesliga.

Damit liegt Tom richtig, denn Leitmayrs Berührungsängste gegenüber schwulen Menschen zum Trotz fühlt sich das Ermittlerduo in seiner Männerwelt sehr wohl. Beim dritten Fall nach dem Ausstieg ihres Assistenten Carlo Menzinger (Michael Fitz) stellt der BR ihnen in Liebeswirren erstmals eine weibliche Kollegin zur Seite: Die nach Dienstrang gleichgestellte Hauptkommissarin Diana Sonnenfeld (Anne Diemer, Der Lippenstiftmörder) behandeln sie wie eine Assistentin, und überhaupt bringt sie die Gegenwart einer Frau im Büro aus dem Konzept. Batic kann die Erinnerung an einen missglückten One-Night-Stand mit ihr nicht abschütteln, über den Sonnenfeld längst hinweg ist. Leitmayr dagegen, den die bloße Nähe homosexueller Männer so stört, kann es selbst nicht lassen, immer wieder anzügliche und chauvinistische Bemerkungen loszulassen, während die Polizistin einfach nur ihre Arbeit machen will.

Es ist schade, dass der durchaus spannende Tatort unter Regie von Tobias Ineichen (Schneetreiben) nicht so recht weiß, was er will. Rückt er einerseits die Schwulenszene ins Zentrum und geht sogar so weit, eine sexuelle Annäherung zwischen den Kommissaren anzudeuten, werden andererseits übertriebener Argwohn gegenüber queeren Menschen als angemessen und Schwulsein als Zerstörung der bürgerlichen Kernfamilie dargestellt.

Stark ist dafür die Besetzung der Nebenrollen, denn Darsteller wie Joel Basman, Franz Dinda oder Oliver Bürgin schaffen es, ihren limitierten Figuren Ernst und Tiefe zu verleihen. Das gleicht den missglückten Humor der Kommissare etwas aus. Allen voran überzeugt der spätere Oscar-Gewinner Christoph Waltz, der 1987 im Wiener Tatort Wunschlos tot schon als Inspektor Harald Passini vor der Kamera stand. Seine einfühlsame Darstellung eines gewissenhaften Mannes, der zwischen der Liebe für seine Familie und der Liebe für seinen Freund hin- und hergerissen ist, hinterfragt, ob wir jemanden wirklich nach seiner sexuellen Orientierung beurteilen sollten – oder nicht lieber danach, was er oder sie für ein Mensch ist.  

Bewertung: 6/10


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