Bild: Das Erste

Wolfsstunde

Folge: 710 | 9. November 2008 | Sender: WDR | Regie: Kilian Riedhof

Bild: WDR/Uwe Stratmann

So war der Tatort:

Feindselig.

Und das vor allem auf dem Polizeipräsidium: In Wolfsstunde herrscht dort schlechte Stimmung wie selten in Münster.

Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) gegen Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers), Thiel gegen Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann), Thiel gegen Assistentin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter), Thiel gegen die geladene Presse (inkl. Cameo-Auftritt von Jörg Pilawa) und irgendwann sogar Thiel gegen Thiel: Selbst „Vaddern“ Herbert (Claus-Dieter Clausnitzer) hat neunmalkluge Ratschläge für seinen entnervten Sohn parat, als er ihn bei einer Stippvisite durch Hamburg kutschiert.

Er muss ordentlich einstecken, der Hauptkommissar – und anders als bei den bisherigen amüsanten Neckereien Boernes, die seit jeher fest zum Erfolgsrezept des Krimis aus Münster zählen, schlägt ihm die Feindseligkeit in dieser Tatort-Folge mit bitterem Ernst entgegen.

Und das alles nur, weil Thiel der Einzige ist, der an die zunächst ziemlich abwegig erscheinende Unschuld des psychisch labilen André Pütz (Thomas Dannemann, Im Sog des Bösen) glaubt: Dem Kriegsfotografen wird ein grausamer Sexualmord zur Last gelegt, alle Indizien sprechen gegen ihn – und außer dem Kommissar scheint die Theorie von einem Serientäter, der sein ehemaliges Opfer Anna Schäfer (Katharina Lorenz, Familienbande) ein zweites Mal aufsuchen könnte, niemand zu teilen.

Zu allem Überfluss lässt sich Thiel, der sich im 710. Tatort nach einem Anruf unter der Dusche mit entblößtem Penis zeigt, bei einer knackigen Verfolgungsjagd über die Dächer der Studentenstadt auch noch vorführen. Au weia.

Wer am Ende Recht behält, ist zwar leicht vorherzusehen – doch als Whodunit funktioniert der Krimi ohnehin nur bedingt, weil die Auflösung eine halbe Stunde vor dem Abspann aus dem Hut gezaubert wird und der Täter vorher gar nicht auf der Bildfläche erscheint.

Regisseur Kilian Riedhof, der gemeinsam mit Marc Blöbaum (Borowski und die heile Welt) auch das Drehbuch zum Film schrieb, inszeniert vielmehr ein fesselndes Katz-und-Maus-Spiel, bei dem der Täter sein Opfer genüsslich vor sich hertreibt.

Schauspielerin Katharina Lorenz zeigt als bedauernswertes Ziel der Begierde bei einem stark gespielten Zusammenbruch, was sie auf dem Kasten hat, während Arnd Klawitter (Der illegale Tod) als stalkender Sascha Kröger schon durch sein braves Aussehen den Teufel im Eichhörnchenkostüm allgegenwärtig erscheinen lässt.

Dass es schließlich Boerne ist, der nach einem plötzlichen Sinneswandel den entscheidenden Beitrag zur Überführung des Täters leistet, wirkt zwar nicht ganz glaubwürdig – es bleibt aber eine von wenigen Schwächen in einem ansonsten hervorragend arrangierten und stellenweise hochspannenden Krimi, der zudem mit vielen gelungenen Gags punktet.

Für den in den Jahren danach fast nur noch auf Humor ausgerichteten Tatort aus Westfalen ist der hohe Thrill-Faktor bemerkenswert: Selbst der köstlich-peinliche Online-Date-Fauxpas des ewig frotzelnden Boerne („Wenn ich eine Kleinfamilie gründen möchte, wende ich mich an Sie.“) mit Silke „Alberich“ Haller (Christine Urspruch) verändert den Erzählton nicht nachhaltig.

Dass man so stark mit den Figuren des Krimis fiebert, liegt im Übrigen auch daran, dass deren Anzahl überschaubar bleibt: Im Schlussdrittel dreht sich alles nur noch um Schäfer, deren Vertrauensgespräche mit Thiel nicht immer so enden, wie es sich der alleinstehende FC St. Pauli-Fan wohl gewünscht hätte.


SCHÄFER:
Spielen die international?

THIEL:
Nee, die spielen bei Nieselregen.

Bewertung: 8/10


Kommentare

3 Antworten zu „Wolfsstunde“

  1. Ich hätte da noch eine kleine Frage zu der Kritik:
    "Selbst "Vaddern" Herbert (Claus-Dieter Clausnitzer) hat neunmalkluge Ratschläge für seinen entnervten Sohn parat, als er ihn bei einer Stippvisite durch Hamburg kutschiert."
    Vielleicht verstehe ich das falsch, aber fährt "Vaddern" Thiel nicht in Münster zum Bahnhof? Thiel war doch sogar extra nach Münster gezogen, weil sein Vater dort wohnt, oder?

  2. Der guten Bewertung kann ich mich nicht anschließen – und das liegt nicht nur daran, dass der Film so schlecht gealtert ist, dass er von der ARD sogar mit einem entsprechenden Hinweis versehen wurde.
    Denn selbst als Krimi lässt der Film sehr zu wünschen übrig. Der Tatort fängt zwar stark an, aber spätestens als Anna Schäfer auf dem Bildschirm erscheint, ist es vorbei mit dem Krimispaß. Dass Thiel Recht behalten würde, war natürlich von Anfang an klar – und so verpufft die Frage, die den Reiz des Falles eigentlich ausmachen sollte. Ob Anna Schäfer wohl wirklich paranoid ist? Natürlich nicht, denn sonst hätte sich Thiel nicht so verbissen an sie gehängt.
    Und damit komme ich zum zweiten Schwachpunkt: Die Handlung ist wahnsinnig repetitiv. Thiel ist überzeugt davon, dass man Anna Schäfer Glauben schenken sollte, die anderen weisen seine Argumente vehement zurück. Aber Thiel macht sich wieder auf den Weg zu ihr. Wieder erfolglos. Das überspannt doch etwas zumindest meine Geduld.
    Und dann ist da noch diese unerträglich schlechte Laune aller Beteiligten, die aus dem Nichts zu kommen scheint. Ist irgendetwas vorgefallen, was nicht von der Kamera festgehalten wurde?
    Nun denn, gibt es wenigstens etwas zu Lachen? Wir sind ja schließlich in Münster. Bedingt. Zwischendurch gibt es einige gelungene Gags, aber z.B. Boernes Date mit "Alberich" ist so vorhersehbar, dass es der eigentlich recht netten Szene allen Reiz nimmt.
    Immerhin: Spannung flammt hin und wieder auf, besonders im großen, wenn auch ebenfalls vorhersehbaren Finale. Der Täter taucht nach einer Stunde urplötzlich auf. Ob Klawitter 2008 bereits unzählige Male den Bösewicht gemimt hatte, weiß ich nicht. Aus heutiger Perspektive weiß man im ersten Augenblick: Er war's.
    Unter Berücksichtigung seines Alters erhält dieser Tatort von mir nur 4/10 Punkte. Gerade noch.

  3. April 2019, Wiederholung in der ARD: Nur schwer zu ertragen, dieser Tatort. Thiele rückt die ganze Zeit Anna Schäfer auf die Pelle. Immer schnauft und schmatzt irgendeiner. Und diese ganze inszenierte weibliche Wehrunfähigkeit: Grässlich. Da frage ich mich, ob man vor 11 Jahren wirklich nur so widerlich von sexualisierter Gewalt erzählen konnte. Andererseits: Deutlich gezeigt wird, dass keiner der Frau glaubt außer Thiele. Dass auch der dann ein Lächeln als Einladung versteht. Vielleicht also doch nicht ganz so dumm, dieser Tatort. Aber eben nur seeehr schwer zu ertragen. Mehrfach habe ich den Bildschirm fast angeschrieen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert