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Kassensturz

Folge: 720 | 1. Februar 2009 | Sender: SWR | Regie: Lars Montag

Bild: SWR/Krause/Burberg

So war der Tatort:

Discounterkritisch.

Denn Regisseur Lars Montag (Hauch des Todes) und Drehbuchautor Stephan Falk (Herzversagen) nehmen in Kassensturz – der pfiffige Krimititel, der nicht zum ersten Mal in der Tatort-Geschichte verwendet wird, deutet es bereits an – die Billigsupermärkte ins Visier, in denen wir (fast) alle regelmäßig einkaufen und uns darüber freuen, ein paar Euro im Vergleich zu teureren Märkten zu sparen.

Die Frage, die wir uns dabei aber viel zu selten stellen: Wie kommen die günstigen Preise in den Discountern überhaupt zustande?

Und genau das ist in diesem Tatort der springende Punkt: Unabhängig von Billigproduktionen oder sonstigen Marktmechanismen rücken die Filmemacher jene Personen in den Mittelpunkt, auf deren Rücken der Preiskampf täglich ausgetragen wird und die knapp ein Jahr vor der TV-Premiere des Krimis durch den LIDL-Skandal ins Licht der Öffentlichkeit rückten.

Die überwiegend weiblichen Angestellten der Märkte sind die schwächsten Glieder in der Kette, arbeiten oft auf 450-Euro-Basis und schieben regelmäßig Überstunden, um das hohe Arbeitspensum bewältigen zu können.

In Kassensturz müssen sie außerdem den Tod ihres Chefs verkraften: Nach dem Tod des Ludwigshafener Gebietsleiters Boris Blaschke (Andreas Windhuis, Blutdiamanten), dessen Filialen der Discounterkette BILLY bundesweit am schlechtesten laufen, gehen die Hauptkommissare Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Mario Kopper (Andreas Hoppe) auf Spurensuche.

In einem seiner Läden treffen sie neben der überarbeiteten Filialleiterin Hannelore Freytag (Traute Hoess, Unter uns) auch die gestressten Angestellten Gisela Dullenkopf (Barbara Philipp, ermittelt ab 2010 als Magda Wächter im Tatort aus Wiesbaden) und Beate Schütz (Stefanie Stappenbeck, Willkommen in Hamburg), die mit dem gnadenlos-sadistischen Choleriker Günter Novak (Jan Henrik Stahlberg, Schneetreiben) kurz darauf Blaschkes Nachfolger vor die Nase gesetzt bekommen.


NOVAK:
Die Vertriebsleitung hat mir die verbliebenen drei Filialen übergeben. Willkommen in der Hölle! War nur ’n Spaß – mach ich aber auch nur ganz selten.

Der 720. Tatort ist eine hochinteressante und dabei stets glaubwürdige Milieustudie mit guten Einfällen (z.B. ein Verhör in einem Fahrgeschäft auf dem Jahrmarkt), zugleich aber ein spannender Krimi, der trotz der enttäuschenden Auflösung („nach neuesten Erkenntnissen…“) als Whodunit ebenso gut funktioniert wie als Denkanstoß.

Der Zuschauer lernt einige Erfolgstricks der streng auf Zeit- und Kostenersparnis fokussierten Discounter (z.B. mehrfach aufgedruckte Strichcodes, um an der Kasse wertvolle Sekunden zu sparen) und wird regelmäßig in den kargen Pausenraum der Mitarbeiter entführt, in dem sich die bedauernswerte Filialleiterin fix ein Fertiggericht aufwärmt – zweifellos der Höhepunkt ihres Arbeitstages, in dem private Konversation untersagt und die nächste Abmahnung nur eine Frage der Zeit ist.

Auch die Hierarchien innerhalb des (fiktiven) BILLY-Konzerns, dessen Name kaum zufällig dem eines IKEA-Verkaufsschlagers gleicht, werden stark herausgearbeitet: In einer klassischen Sandwichposition befinden sich die Gebietsleiter wie Novak („Ich hab meine Familie seit fünf Wochen nicht gesehen.“), die von der gefühlskalten Vertriebsleiterin Gesine Fuchs (Adele Neuhauser, ab 2011 als Major Bibi Fellner im Wiener Tatort im Einsatz) enormen Verkaufsdruck bekommen, und die Filialleiter wie Freytag, die die Anweisungen von oben an ihre wehrlosen Mitarbeiter weitergeben müssen.

Wäre diese Ausbeutung in einem Tatort aus Köln wohl stundenlang im Dienstwagen oder an der Wurstbraterei diskutiert worden, wird die gesellschaftskritische Debatte in Kassensturz auf ein gesundes Maß reduziert.

Deutlich störender ist die peinliche Eigenwerbung des Südwestrundfunks für seinen Radiosender SWR3, der am Rhein eine Schnitzeljagd veranstaltet und Assistentin Edith Keller (Annalena Schmidt) von einem Treffen mit George Clooney träumen lässt: Ein furchtbar seichter und überflüssiger Nebenkriegsschauplatz, der die bedrückende Tonalität dieser ansonsten so starken Tatort-Folge immer wieder verstimmt.

Auch bei der Figurenzeichnung – insbesondere bei Novak und Fuchs – tragen die Filmemacher etwas zu dick auf, was dem hohen Unterhaltungswert aber kaum Abbruch tut. So ist Kassensturz bis heute eine der stärksten Folgen des später dramatisch nachlassenden Teams aus Ludwigshafen geblieben – nicht von ungefähr erhielt das Drehbuch eine Nominierung für den Deutschen Fernsehpreis 2009.

Bewertung: 8/10


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