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Tempelräuber

Folge: 745 | 25. Oktober 2009 | Sender: WDR | Regie: Matthias Tiefenbacher

Bild: WDR/Michael Böhme

So war der Tatort:

Irdisch.

Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und seine Assistentin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) ermitteln zwar in einem Priesterseminar, doch ist der Mordfall in Tempelräuber eindeutig weltlicher Natur: Seminarleiter Ludwig Mühlenberg, der streng nach den Regeln der katholischen Kirche lebt, wird ausgerechnet mit dem Taxi von „Vaddern“ Herbert Thiel (Claus Dieter Clausnitzer) überfahren.

Wie auch in anderen Folgen der Krimireihe (vgl. Im Namen des Vaters oder Allmächtig) nutzen die Filmemacher den Todesfall als Aufhänger für eine Diskussion der ohnehin kontrovers debattierten Kirchentraditionen – in der Herangehensweise unterscheidet sich der 16. Fall von Thiel und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) aber von den meisten anderen.

Statt die üblichen Kirchenklischees und Witzchen abzuarbeiten, gehen Regisseur Matthias Tiefenbacher und Drehbuchautor Magnus Vattrodt, die auch den Fall Herrenabend gemeinsam realisierten, das Thema sensibel an.

An Kirchenkritik mangelt es dem Film trotzdem nicht: Der potenzielle Nachfolger des toten Seminarleiters, Hans Wolff (Ulrich Noethen), lebt eine deutlich weniger strenge Religionsausübung vor als sein Vorgänger. Wolff wohnt nicht im Seminar und erteilt in seiner Freizeit Geigenunterricht – so auch dem Jugendlichen Steffen (Wolf-Niklas Schykowski, Schattenlos), dem Sohn von Boernes vorübergehender Haushälterin und Pflegerin Karin Ellinghaus (Johanna Gastdorf).

Der Professor wurde nämlich beim Versuch, dem sterbenden Mühlenberg zu helfen, angefahren und muss sich wohl oder übel mit der Situation arrangieren, mit seinen dick bandagierten Händen weder zu Hause noch in der Pathologie allein zurecht zu kommen – eine Steilvorlage für reichlich Situationskomik.

Im Vergleich zu den meisten anderen Fällen des Teams aus Münster fällt Tempelräuber dennoch relativ ernst aus: Drehbuchautor Vattrodt verzichtet weitestgehend auf Klamauk und erzählt stattdessen eine tragische Geschichte, die er durch gut platzierte Sprüche und Dialogwitz immer wieder auflockert.


STAATSANWÄLTIN KLEMM:
In dieser Stadt zählt ein toter Priester so viel wie zwei tote Bürgermeister oder drei tote Polizisten.


THIEL:
 Und was macht das in Staatsanwälten?

Fans des eingespielten Teams müssen also nicht völlig auf Humor verzichten – und es ist einfach eine Freude, dem sonst so geschickt mit dem Sezierbesteck hantierenden Boerne dabei zuzusehen, wie er verzweifelt mit einem Messer im Mund Brot zu schneiden versucht oder den Telefonhörer mit der Nase von der Gabel stupst, um ein Gespräch anzunehmen.

Besonders amüsant ist eine Szene, in der Silke „Alberich“ Haller (Christine Urspruch) den Professor in seinem Büro einschließt, nachdem er sie wiederholt mit seinen gewohnt kritischen Kommentaren von der Arbeit abgehalten hat.

Hervorzuheben sind auch Ulrich Noethen (Frau Bu lacht), Johanna Gastdorf (Schweinegeld) und Marita Breuer (Bombenstimmung) als Schwester Agathe: Ihnen gelingt es, die Gefühle ihrer Charaktere mit kleinen Gesten und zurückgenommener Mimik glaubhaft zu vermitteln.

Ein Manko des Krimis ist jedoch – wie so oft in Münster – die Anhäufung von Zufällen, die zur Aufklärung des Falls führen: Diesmal liefert eine ältere Dame (Giselle Vesco, Engelchen flieg), die tagelang wegen zerbrochener Grablichter auf dem Polizeipräsidium ausharrt, einen entscheidenden Hinweis zur Überführung des Mörders.

Geübte Tatort-Zuschauer werden den Mörder aber wohl ohnehin lange vor Thiel erraten – und allein Boernes Gesichtsausdruck, während er sich hilflos von Ellinghaus duschen lassen muss, entschädigt locker für die kleineren Drehbuchschwächen.

Bewertung: 7/10

Kommentare

2 Antworten zu „Tempelräuber“

  1. Mir ist auch ein kleiner Tippfehler aufgefallen: Im Satz "Statt die üblichen Kirchenklischees und Witzchen abzuarbeiten, gehen Regisseur Matthias Tiefenbacher und Drehbuchautor Magnus Vattrodt, die auchden Fall Herrenabend gemeinsam realisierten, das Thema sensibel an." ist "auch den" hier zusammengeschrieben.

  2. Puh, schwieriges Thema… Zölibat und die katholische Kirche. Nach mehr als 10 Jahren immernoch brandaktuell, gerade mit Blick auf die aufgedeckten Missbrauchsfälle.
    2009 war der Münster-Tatort noch ernstzunehmen, und kein oberflächlicher Klamauk wie er es heute zu oft ist.
    Ich stimme der Kritik zu. Die Drehbuchschwächen werden durch pfiffigen Wortwitz, eine erstaunlich vielschichtige Charakterisierung von Boerne, die ergreifende Darstellung möglicher Folgen des Zölibats und die hervorragenden schauspielerischen Leistungen (der Junge leider ausgenommen) ausgeglichen.
    Was nicht fehlen darf, ist natürlich Boernes subtiler Hinweis auf "Alberichs" Körpergröße: "Ich habe für den Moment keine Hände, aber ich habe -kleiner Trost, also SEHR kleiner Trost- Sie."
    Eine noch differenziertere Betrachtung der Thematik wäre evtl. möglich gewesen: Hier wird ausschließlich auf die Schattenseiten des Zölibats eingegangen. Andererseits bieten diese auch mehr als genug Material für 90 Filmminuten.
    Unterm Strich hat sich dieser Film also 7/10 Punkte durchaus verdient.

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