Folge: 750 | 27. Dezember 2009 | Sender: SWR | Regie: Eoin Moore
Bild: SWR/Peter A. Schmidt |
So war der Tatort:
Generationsübergreifend.
Während sich viele Tatort-Folgen nur auf die Belange einer bestimmten Altersgruppe konzentrieren und sich die Ermittler beispielsweise in den von der Jugend dominierten, für sie oft unbekannten sozialen Netzwerken (Das verkaufte Lächeln) oder im Altersheim (Paradies) zurechtfinden müssen, treffen die Stuttgarter Hauptkommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) in Altlasten auf drei verschiedene Generationen derselben Familie.
Als Mörder des über 80-jährigen Familienoberhaupts Willy Schubert kommen seine Ehefrau, sein Sohn, seine Tochter und sein Schwiegersohn in Frage. Die Familie hatte am Tag vor Schuberts Tod den Hochzeitstag der Großeltern im kleinen Kreis gefeiert – und ausgerechnet bei diesem feierlichen Anlass (Bootz: „Wie nennt man das dann? Betonhochzeit?“) muss einer der Anwesenden Schuberts Lieblingsdessert vergiftet haben.
Im Laufe der Ermittlungen stoßen die Kommissare auf viele Geheimnisse innerhalb der Familie, und Drehbuchautorin Katrin Bühlig (Frühstück für immer) versteht es, die vielschichtigen Charaktere realitätsnah und klischeefrei darzustellen. Doch auch gesellschaftliche Probleme werden angesprochen: Wie zum Beispiel im Berliner Tatort Edel sei der Mensch und gesund wird auch in Altlasten die vieldiskutierte „Zwei-Klassen-Medizin“ thematisiert und die Frage gestellt, was wichtiger ist: Gesetz und Profit oder die Gesundheit einzelner Menschen?
Die Antwort muss jeder Zuschauer für sich selbst geben, und doch hätte das Krimidrama diese recht halbherzige Systemkritik gar nicht nötig gehabt.
Die stärksten Momente hat der 750. Tatort nämlich dann, wenn Bühlig nicht die Kommissare oder Ärzte, sondern die Taten der Familie Schubert sprechen lässt: Die ältere Generation spielt ihre Gebrechen herunter, weil sie den Kindern und Enkeln nicht zur Last fallen möchte, während diese hilflos auf die ersten Anzeichen von Demenz reagieren und nicht wissen, wie sie mit der Situation der schwächer werdenden Liebsten umgehen sollen.
Durch die präzisen Aufnahmen von Kamerafrau Cornelia Wiederhold (Im Abseits) und die Inszenierung von Regisseur Eoin Moore (Borowski und der freie Fall) wirkt der Fall jedoch nie trist oder hoffnungslos, sondern bewahrt sich auch durch die kleineren Nebenhandlungen stets eine zuversichtliche Stimmung.
Bootz hat Dauerbesuch von seiner verhassten Schwiegermutter (Angelika Bender, Der traurige König) und würde am liebsten gar nicht erst nach Hause gehen, doch die zu befürchtenden Schwiegermutter-Klischees werden nur angerissen. Stattdessen liefern sich die beiden Streithähne einen köstlichen Showdown beim „Mensch-ärgere-dich-nicht“, der vom berühmten Spiel mir das Lied vom Tod-Soundtrack untermalt wird.
Es ist nicht die einzige Stelle, an der US-amerikanisches Flair in den Stuttgarter Tatort einfließt: Wer genau aufpasst, wird die Symbolik bemerken, und Lannert kann sogar ein Leben retten, indem er sie im richtigen Moment richtig deutet. Altlasten wurde nicht nur für den Grimme-Preis nominiert, sondern gewann auch den Filmkunst-Sonderpreis als „herausragender Fernsehfilm“ beim Festival des deutschen Films 2010.
Dass dieser Tatort über den fehlenden Dialog beim Altwerden so authentisch ausfällt, ist nicht zuletzt den glänzend aufgelegten Schauspielern zuzuschreiben: Bibiana Zeller (Annoncenmord) stellt die demente Witwe Brise Schubert nicht bloß als gebrechliche Dame dar, sondern lässt ihr zwischen all dem Schmerz und all der Verletzlichkeit die Würde einer Frau, die in ihrem Leben mit vielen Schicksalsschlägen fertig geworden ist.
Auch die Kinderdarsteller Stella Kunkat (Der glückliche Tod) und Tim Krebs sind nicht nur passive Teilnehmer, sondern drücken der Geschichte ihren Stempel auf. Letztendlich ist die Folge aber auch deshalb so überzeugend, weil die Charaktere allgegenwärtig in unserer Gesellschaft sind und die Dialoge kitschfrei entlarven, was in dieser manchmal falsch läuft. Exemplarisch dafür steht der Besuch von Lannert und Bootz in einem Pflegeheim, in dem die beiden am Krankenbett die Hände eines alten Mannes halten.
PFLEGERIN:
Er kriegt sonst nie Besuch.
LANNERT:Keine Familie?
PFLEGERIN:
Nee, keine Zeit. Ich meine: Die Familie hat keine Zeit. Er hat Zeit.
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