Bild: Das Erste

Familienbande

Folge: 782 | 5. Dezember 2010 | Sender: WDR | Regie: Thomas Jauch

Bild: WDR/Willi Weber

So war der Tatort:

Verwandt.

Und das gleich im doppelten Sinne, denn zum wiederholten Mal dreht sich ein Tatort um familieninterne Scherereien. Bereits in Fällen wie Altlasten trafen mehrere zerstrittene Generationen aufeinander, und so ist es auch in Familienbande.

Als man den neunjährigen Mark erfroren im Kühlhaus der in der Nachbarschaft lebenden Hofbesitzerin Iris Findeisen (Anna Schudt, Investigativ) findet, bleibt der Tod ihres Sohnes nicht das einzige Problem von Nadja (Katharina Lorenz, Wolfstunde) und Bernd Bürger (Mark Waschke, Willkommen in Hamburg). Je mehr Nadjas dominante Mutter Helene (Petra Kelling, Edel sei der Mensch und gesund) versucht, den verbleibenden Rest ihrer Familie zusammenzuhalten, desto mehr bricht sie auseinander.

Die Dorfgemeinschaft unterdessen ist sich sicher: Findeisen hat den Jungen in ihr Kühlhaus gelockt und erfrieren lassen – und die Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) sehen sich schon bald Zeugen gegenüber, die nicht genau das gesehen haben, was sie gesehen haben wollen.

Verwandt ist der 782. Tatort daher auch mit Fällen aus Niedersachsen: Bei LKA-Ermittlerin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) geht es in der Regel ebenfalls hinaus in verschlafene Dörfchen, in denen die Uhren noch anders ticken.

Besonders auffallend sind die Parallelen zum Fall Pauline: Auch im Lindholm-Krimi wurde ein Kind tot aufgefunden, und in beiden Fällen sind die Familienbande schon vor dem Kindstod nicht mehr intakt und zerbrechen danach ganz (anders als die Dorfgemeinschaft, in der alle verwandt, verschwägert oder seit dem Sandkasten befreundet sind).

Beide Fälle sind außerdem ungewöhnlich kommissarreich: Während hier Anna Schudt (ab 2012 als Hauptkommissarin Martina Bönisch im Dortmunder Tatort zu sehen) und Mark Waschke (ab März 2015 als Berliner Hauptkommissar Robert Karow im Einsatz) zum Cast zählen, sind in Pauline mit Martin Wuttke und Wotan Wilke Möhring ebenfalls zwei spätere Tatort-Kommissare mit von der Partie.


BALLAUF:
Gibt’s überhaupt noch ’ne heile Familie?

SCHENK:
Vielleicht meine.

Vielleicht aber auch nicht: Am Rande erfährt der Zuschauer, dass Schenks Tochter Melanie (Karoline Schuch) verzweifelt auf die Auszahlung ihres fristgerecht beantragten Arbeitslosengeldes wartet.

Das bietet Assistentin Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt) die seltene Möglichkeit, sich außerhalb des Präsidiums zu beweisen: Mit versteinerter Miene weist sie eine Kollegin der Arbeitsagentur in die Schranken („Sie haben genau drei Tage Zeit, die Angelegenheit zu klären, andernfalls gibt’s ne Anzeige wegen Amtsmissbrauch und Urkundenunterschlagung.“).

Auch wenn die verdutzte Sachbearbeiterin von den Drehbuchautoren Hans Werner (Bei Auftritt Mord) und Lars Böhme stark überzeichnet wird, ist der gemeinsame Amtsbesuch der Damen doch eine starke Szene in einem Tatort, den ansonsten hauptsächlich Verdächtige prägen, die sich gegenseitig beschuldigen und verurteilen.

Dabei häufen sich die Verstrickungen – und plötzlich präsentieren die Filmemacher nach siebzig Minuten eine ziemlich überhastet wirkende Auflösung. Zum Glück taucht just in diesem Moment eine weitere Leiche auf, so dass die Kölner Kommissare die verbleibenden Minuten nicht mit weiteren Kölsch und Currywürsten an ihrer Stamm-Wurstbraterei am Rhein verbringen müssen. Dennoch verliert der Auftakttod des Jungen nun zunehmend an Bedeutung, bis er durch die Probleme der Erwachsenen und das zweite Opfer irgendwann kaum noch Erwähnung findet.

Dieser Aspekt steht exemplarisch für das Dilemma des Films: Der vielfach tatorterprobte Regisseur Thomas Jauch (Mord ist die beste Medizin) und die Drehbuchautoren Werner und Böhme liefern einige interessante Ansätze (wie die vorschnelle Verurteilung ungeliebter Mitbürger oder das offene Ausleben von Homosexualität in einem konservativen Dorf), kratzen aufgrund der Fülle ihrer Themen aber oft nur an der Oberfläche.

Man hätte der überzeugenden Besetzung um Schudt, Waschke, Lorenz und Kelling eine zielgerichtetere Geschichte gegönnt – so bleibt am Ende vor allem die hochspannende, mit majestätischer Musik untermalte und in atmosphärischen Zeitlupenbildern eingefangene Auftaktsequenz in Erinnerung.

Bewertung: 5/10

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert