Folge: 796 | 3. April 2011 | Sender: rbb | Regie: Florian Froschmayer
Bild: rbb/GORDON |
So war der Tatort:
Systemkritisch.
Denn Edel sei der Mensch und gesund widmet sich einem Thema, das die Bundesrepublik seit Jahrzehnten beschäftigt und noch bis heute für kontroverse Debatten in Politik und Medien sorgt: dem deutschen Gesundheitssystem.
Betrug beim Verschreiben von Medikamenten, Massenabfertigung von Kassenpatienten, Kostendruck der Arztpraxen und die allgegenwärtige Frage, ob man sich als Normalverdiener Gesundheit überhaupt noch leisten kann: Das Autorenduo um Gerhard J. Rekel (Zartbitterschokolade) und Dinah Marte Golch, die für Nie wieder frei sein den Grimme-Preis erhielt, nimmt sich in seinem Drehbuch verschiedene Aspekte des Gesundheitswesens vor und verknüpft diese in bester Tatort-Manier mit dem persönlichen Schicksal eines Ermittlers.
Den Berliner Hauptkommissar Felix Stark (Boris Aljinovic) plagt eine hartnäckige Erkältung, doch der diesmal von seinem reisenden Sohn allein gelassene, alleinerziehende Ermittler zeigt sich nach dem Tod eines Rentners gewohnt einsatzfreudig und nimmt gemeinsam mit seinem langjährigen Kollegen Till Ritter (Dominic Raacke), der zum 30. Mal für die öffentlich-rechtliche Krimireihe im Einsatz ist, die Ermittlungen auf. Während der Stark-Schnupfen eigentlich nicht weiter stört, nerven die neunmalklugen Sofortdiagnosen von Assistent Lutz Weber (Ernst-Georg Schwill), der Stark am liebsten sofort ins Krankenhaus einweisen würde, schon nach wenigen Minuten.
Den starken Gesamteindruck, zu dem auch die stimmige Kammerspiel-Atmosphäre von Regisseur Florian Froschmayer (Der Polizistinnenmörder) beiträgt, schmälert dies kaum: Rekel und Golch begehen erfreulicherweise nicht den häufigen Tatort-Fehler, zum oberflächlichen Rundumschlag gegen Politik, System und „die da oben“ auszuholen.
Im Gegenteil: Die Geschichte bleibt klein, konkret und überschaubar. Das steht dem 796. Tatort hervorragend zu Gesicht, weil die Mängel des Gesundheitssystems auch am Beispiel einer einzigen Altberliner Familienpraxis und am traurigen Einzelschicksal zweier Patienten erschreckend deutlich werden.
Dass es keinen echten Auftaktmord gibt, die Täterfrage eine untergeordnete Rolle spielt und der Spannungsbogen dementsprechend flach ausfällt, ist zu verkraften: Edel sei der Mensch und gesund ist ein Sonntagskrimi der ruhigen, dafür aber umso authentischeren und bedrückenden Sorte, weil er auch nach den emotionalen Schlussminuten noch zum Nachdenken anregt. Die Berliner Kommissare sitzen in einer moralischen Zwickmühle, verlassen schweigend und hilflos das Krankenhaus.
Vergleicht man dieses Dilemma mit dem der Münchner Kollegen Batic und Leitmayr im ähnlich ausklingenden Frau Bu lacht, verlässt die Filmemacher in diesem Tatort am Ende allerdings ein wenig der Mut: Das Ende bleibt offen, die Konsequenzen sind unklar.
Dennoch reiht sich Edel sei der Mensch und gesund beim Blick auf die Gesamtreihe als zweitbeste Ritter-und-Stark-Folge nach der herausragenden Hitchcock-Hommage Hitchcock und Frau Wernicke ein.
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