Folge: 888 | 1. Dezember 2013 | Sender: SWR | Regie: Oliver Kienle
Bild: SWR/Stephanie Schweigert |
So war der Tatort:
Überholt von der schwäbischen Realität.
Staatsanwältin Emilia Álvarez (Carolina Vera) dürfte nämlich so ziemlich die Einzige sein, die bei der TV-Premiere des Krimis am 1. Adventssonntag 2013 im piekfeinen Restaurant des Stuttgarter Fernsehturms bei prächtigem Ausblick zu Abend diniert: Kurz nach dem Abschluss der Dreharbeiten von Happy Birthday, Sarah wurde der Touristenmagnet wegen Brandschutzgefahr für die Öffentlichkeit geschlossen und aus Kostengründen lange Zeit nicht mehr geöffnet.
Diese für das ortskundige Fernsehpublikum unfreiwillig amüsante Szene bleibt beim 13. gemeinsamen Einsatz der Hauptkommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) aber der einzige Fauxpas: Regisseur und Tatort-Debütant Oliver Kienle inszeniert einen grundsoliden und für Stuttgarter Verhältnise überraschend humorvollen, mit lässigen One-Linern gespickten Tatort, der auch im Hinblick auf die Skizzierung der heutigen Jugend erfreulich authentisch ausfällt.
Anders als viele Drehbuchautoren der jüngeren Vergangenheit – man denke zurück an die peinlichen Tatort-Katastrophen Der Wald steht schwarz und schweiget oder Dinge, die noch zu tun sind – zeichnet Wolfgang Stauch (Die schöne Mona ist tot) erfreulicherweise keine müden Teenager-Stereotypen: Der Drehbuchautor nötigt die Jungdarsteller im Jugendzentrum „Klaus‘ Haus“, in dem
Sozialarbeiter Andreas Haber (Nikolaj Alexander Brucker, Ohne Beweise) einleitend in der Toilettenschüssel ertränkt wird, nicht zu pseudocoolen Sprüchen und realitätsfernem Gehabe, und der junge Filmemacher Kienle räumt seiner Hauptdarstellerin Ruby O. Fee bei der Interpretation ihrer titelgebenden Hauptfigur Sarah großen Freiraum ein.
Sarah ist erwartungsgemäß nicht die Täterin – stattdessen einmal mehr eine Nebenfigur, die im Mittelteil des Krimis aus dem
Blickfeld gerät und sich in typischer Tatort-Manier pünktlich zur
Auflösung wieder in den Vordergrund drängt. Nachwuchsdarstellerin Fee ist dennoch der unumstrittene Star im 888. Tatort und bringt die heranwachsende Rebellin, die die letzten verbleibenden Tage vor der Strafmündigkeit für falsche Geständnisse und Kurzschlussreaktionen nutzt, charismatisch und glaubwürdig auf die Mattscheibe.
Es macht Spaß, ihrer aufmüpfigen Sarah dabei zuzusehen, wie sie die genervten Hauptkommissare mit ihrer Sturheit zur Weißglut bringt und sich in den emotionalen Streitgesprächen mit ihrer Schwester, der personifizierten Stuttgarter Unterschicht Jeanette (Britta Hammelstein, Willkommen in Hamburg) und deren wild tätowiertem Lover Ronald (Antonio Wannek, Todesschütze, „Na, zurück in der Hölle des Löwen?“) behaupten kann.
Weit weniger unterhaltsam gestalten sich die schleppenden Familienszenen von Neu-Single Bootz und seinen Kindern: Vor allem der freche Sohnemann, der das Handy des gestressten Kommissars in der Badewanne versenkt und dem Papa bei einer Festnahme vom Streifenwagen aus zujubelt, erinnert stark an den nervtötenden Präsidiumskasper Giuliano (Joshua Jacobs) aus der grauenvollen Odenthal-Folge Der Schrei, wird von seinem Erzieher aber mit bemerkenswerter Geduld umsorgt.
Der Bootzsche Familienkitsch bleibt jedoch das einzige größere Manko eines ansonsten guten Fadenkreuzkrimis: Happy Birthday, Sarah macht einfach Laune und nutzt Sarahs minütlich näher rückende Strafmündigkeit auf der Zielgeraden für einen knackigen Countdown. Da hat man im Tatort-Jahr 2013 wahrlich schon Schlechteres gesehen.
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