Folge: 889 | 8. Dezember 2013 | Sender: HR | Regie: Justus von Dohnányi
Bild: HR/Katrin Denkewitz |
So war der Tatort:
Tumorfrei.
Denn LKA-Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur) kann endlich aufatmen: Der Tumor, dessen Anagramm ihm seinen Nachnamen bescherte, ist Geschichte!
Surreale Träume und morbide Wahrnehmungsstörungen hatten den Kommissar vor allem in Das Dorf geplagt, als ihm Regisseur und Drehbuchautor Justus von Dohnányi (Eine bessere Welt) sogar sein eigenes Gehirn auf einem Silbertablett servierte und viele Zuschauer mit seiner musiklastigen und eigenwilligen Krimigroteske (Auftritt der Kessler-Zwillinge inklusive) fulminant vor den Kopf stieß.
Dass Das Dorf von großen Teilen der Presse gefeiert und sogar für einen Grimme-Preis nominiert wurde, scheint sich von Dohnányi weniger zu Herzen genommen zu haben als die irriterten Publikumsreaktionen – Murots dritter Einsatz, bei dem der Filmemacher erneut am Ruder sitzt, ist nicht ansatzweise so mutig und ausgefallen wie der Vorgänger, man möchte fast sagen: Schwindelfrei ist enttäuschend gewöhnlich.
Eine klassische Whodunit-Konstruktion (mit einer vermissten Frau statt der üblichen Auftaktleiche), biedere Ermittlungsarbeit, langatmige Dialoge und eine erschreckend vorhersehbare Auflösung: Einmal mehr ist der prominenteste Nebendarsteller im Tatort der Mörder und sein Tatmotiv früh zu erahnen – es führt zurück in die Zeit des Kosovo-Krieges, der im Tatort bei weitem nicht zum ersten Mal aufgegriffen wird (zuletzt
im Wiener Meisterwerk Kein Entkommen).
Dass der 889. Fadenkreuzkrimi trotz dieser inhaltlichen Schwächen zu unterhalten weiß, liegt an seiner knallbunten Verpackung und seinem nostalgieschwangeren Schauplatz: Er spielt zu großen Teilen in einer Zirkusmanege.
ZIRKUSDIREKTOR:Wir leben hier auf einer kleinen einsamen Insel.
Der Zirkus Raxon, dem Murot in Fulda gemeinsam mit seiner Sekretärin Magda Wächter (Barbara Philipp) zur Feier der einleitenden Diagnose einen Besuch abstattet und von prompt von Bauchredner Buca (Jevgenij Sitochin, Der Tote im Nachtzug) zum Spontangesang in die Manege gebeten wird, bildet einen interessanten und originellen, wenn auch nicht
gänzlich von der Außenwelt abgeriegelten Mikrokosmos.
Wir werden entführt in eine
bunte, eigene Welt, in der einer der Angestellten um Buca, Pianist Charly (Leonard Carow, Mord auf Langeoog), Zirkusdirektor Raxon (Josef Ostendorf, Sterben für die Erben), Messerwerfer Frank (Uwe Bohm, Es ist böse), der hünenhafte Ex-Ringer Zoltan (Norbert
Heisterkamp, Bittere Mandeln), Sängerin
Rosalie (Zazie de Paris, später Stammgast im Frankfurter Tatort) oder Artistin Caja (Dorka Gryllus, Familienaufstellung) ein finsteres
Geheimnis verbirgt.
Weil sich nur einer der Angestellten (auch unabhängig von seinem prominenten Gesicht) als Täter aufdrängt, plätschert der Krimi vor allem im Mittelteil lange vor sich hin – Twists und doppelte Böden, die gerade einem verspielten Zirkus-Tatort gut zu Gesicht gestanden hätten, bleiben leider aus.
Erst auf der Zielgeraden kommt Schwindelfrei in Schwung: Murot, der sich zuvor als Aushilfspianist im Zirkus eingeschleust hatte, schleicht in bester 007-Manier als Clown ins Rampenlicht – in etwa so, wie es 1983 James Bond (Roger Moore) in Octopussy tat, als er im
gleichnamigen Zirkus in letzter Sekunde vor den Augen des ahnungslosen
Publikums eine tickende Zeitbombe entschärfte.
Trotz der großen Zugeständnisse an das klassische Tatort-Konzept lässt
sich Justus von Dohnányi im Übrigen einen amüsanten Seitenhieb auf den Rest der Krimireihe nicht nehmen: Murot schaut den berühmten Tatort-Vorspann in seinem Hotelzimmer – und just in dem Moment, als die Geschichte des Krimis beginnt, schaltet er den Fernseher gelangweilt
ab. Volltreffer.
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