Folge 910
4. Mai 2014
Sender: BR
Regie: Max Färberböck
Drehbuch: Max Färberböck, Catharina Schuchmann
So war der Tatort:
Ungemein gemein – denn Am Ende des Flurs ist nicht nur ein verdammt stimmungsvoller und herausragender Tatort, sondern verblüfft auch mit einem brutalen offenen Ende. Der für die Krimireihe bis dato einmalige Cliffhanger, der nach dem Abspann zahlreiche Google-Suchanfragen à la „tatort leitmayr tot“ generierte, ist zugleich das Bemerkenswerteste an einem grandiosen Krimidrama, das allenfalls wegen kleinerer Logiklöcher und der etwas abgegriffenen Ausgangslage in der B-Note minimal schwächelt.
„Sie!“, sprudelt es nach dem Tod der vielfach verehrten Liebesdienerin Lisa Brenner (Fanny Risberg) aus dem tatverdächtigen Harry Riedeck (Wolfgang Czeczor, Schneetreiben) heraus, als der Münchner Hauptkommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) ihn fragt, wen das Mordopfer in den vergangenen Jahren denn alles getroffen habe. Ihn? Den Franz?
Tatsächlich: Wie schon im großartigen Tatort Im freien Fall bildet eine leidenschaftliche Affäre des ergrauten Ermittlers das emotionale Epizentrum des Krimis und stellt das Verhältnis zu seinem bis dato ahnungslosen Kollegen Ivo Batic (Miroslav Nemec) auf eine harte Probe. Auch wenn dieser Drehbuchkniff keinen Innovationspreis gewinnen wird, holt Filmemacher Max Färberböck damit das Maximum aus seiner Geschichte heraus.
Schon die ersten Minuten lassen erahnen, dass nach den durchwachsenen Vorwochen mal wieder ein echter Hochkaräter auf dem Programm steht: In einer Rückblende räkelt sich das spätere Opfer zu den verträumten Klängen von Ketty Lesters Love Letters (die schon David Lynch in seinem Meisterwerk Blue Velvet verwendete) in einem weißen Hochzeitskleid in einem komplett weißen Raum auf einem weißen Sofa. In der nächsten Szene befinden wir uns plötzlich im Hier und Jetzt: Brenner prostet mit Champagnerglas in die Kamera, bittet das Publikum auf ihren Balkon – und liegt nach einem harten Schnitt in einer Blutlache auf der Straße. Wir blicken durch die Augen des Mörders – und sind mittendrin statt nur dabei.
Auch den zweiten Leichenfund, den Färberböck kurz vor Schluss stilsicher aufgreift, inszeniert der Grimme-Preisträger großartig: Als bei einer Hausdurchsuchung das Schlimmste zu befürchten ist, springt plötzlich ein krähender Rabe ins Bild, der durch ein offen stehendes Fenster den Weg ins blutverschmierte Innere gefunden hat und den grausigen Fund des bestialisch abgeschlachteten Opfers in Hitchcock-Manier erahnen lässt.
Neben Regie und Kamera, Schnitt und Szenenbild, dem melancholischen Soundtrack mit Waylon Jennings‘ wunderbarer Country-Ballade Dreaming my dreams with you und markantem Lokalkolorit ist aber auch die Besetzung erste Sahne – wenngleich das ansprechende Debüt von Tatort-Frischling Ferdinand Hofer (zum Interview) und der vielfach TV-erprobten Lisa Wagner (Grimme-Preis für Nie wieder frei sein), die als pfiffig-naiver Assistent Kalli Hammermann und toughe Fallanalytikerin Christine Lerch nun dauerhaft zum Kernteam zählen, fast ein wenig untergeht. Barbara de Koy (Gestern war kein Tag) überragt als einsame Nachbarin Margot Höllerer ebenso wie Theaterschauspieler Franz Xaver Kroetz (Wolf im Schafspelz), der als grantelnder Wiesn-Wirt Toni Feistl („Bondage, Herr Batic!“) einen wahnsinnig charismatischen Auftritt hinlegt.
Doch vor allem die Schlussviertelstunde ist das Beste, was die Krimireihe seit langer Zeit gesehen hat: Färberböck nimmt das Publikum minutenlang in den Schwitzkasten und drückt dann in einer elektrisierenden Schlusspointe gnadenlos zu. Anders als bei Leitmayrs tragischer Affäre mit Studentin Anne (Jeanette Hain) in Im freien Fall findet diesmal aber nicht der Kommissar, sondern ein großer Teil der Fernsehzuschauer, am Ende nur schwer den Weg in den Schlaf: Der atemberaubende Cliffhanger, der am Morgen nach der Erstausstrahlung im Mai 2014 in den deutschen Büros Gesprächsthema Nr. 1 war, macht Am Ende des Flurs zu einem außergewöhnlichen Tatort-Erlebnis und zugleich zu einem Meilenstein der Krimireihe.
Bewertung: 10/10
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