Bild: HR/Philip Sichler

Im Schmerz geboren

Folge 920

12. Oktober 2014

Sender: HR

Regie: Florian Schwarz

Drehbuch: Michael Proehl

So war der Tatort:

Unerreicht.

Und das nicht nur aufgrund der Rekordzahl von (inoffiziell sogar noch mehr als) 47 Leichen: Im Schmerz geboren ist das mit Abstand beste, was die Tatort-Reihe in ihrer über vierzigjährigen Geschichte hervorgebracht hat.

Die Vorschusslorbeeren für den vierten Fall von LKA-Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur) und seiner Assistentin Magda Wächter (Barbara Philipp) waren groß: Erst der Produzentenpreis auf dem Filmfest München, dann der Publikumspreis in Ludwigshafen, darüber hinaus der Medienkulturpreis für einen Film, „der vorbildhaft ist für den Erhalt einer Medienkultur in Deutschland, der es unabhängig von Einschaltquoten um Qualitätsfernsehen im Bereich des Fernsehspiels geht.“ Sind all diese Auszeichnungen gerechtfertigt?

Allerdings. Wer dachte, dass Regisseur Florian Schwarz und Drehbuchautor Michael Proehl ihren Frankfurter Geniestreich Weil sie böse sind nicht noch einmal würden übertreffen können, erlebt sein blaues Tatort-Wunder. Im Schmerz geboren ist eine faszinierende Mischung aus klassischem Krimi, kunstvoll inszenierter Shakespeare-Tragödie, brutalem Italo-Western und wendungsreichem Tarantino-Streifen und atmet von Minute 1 bis 90 pure Filmgeschichte.

Das beginnt bereits mit der wunderbar überzeichneten Auftakt-Hommage an Sergio Leones Meisterwerk Spiel mir das Lied vom Tod, bei der Bösewicht Richard Harloff (oscarverdächtig: Ulrich Matthes, Stille Wasser) in Wiesbaden aus dem Zug steigt und von den drei bewaffneten Söhnen des Schrottplatz-Unternehmers Alexander Bosco (souverän: Alexander Held, Der doppelte Lott) erwartet wird. Sogar die sengende Hitze und die summende Fliege als Laut in der zähen Stille greifen die Filmemacher augenzwinkernd auf und lassen Murot und seinen Kollegen Schneider (Shenja Lacher) die Aufnahmen einer Überwachungskamera später entsprechend kommentieren:


SCHNEIDER:
Sieht eher aus wie ein Duell aus ’nem billigen Western.

MUROT:
Oder ’nem guten.

Im Schmerz geboren ist ein herausragend inszenierter, vor Zitaten aus Theater, Kino, Musik und Kunst nur so strotzender Meilenstein der deutschen Fernsehgeschichte, der mit abgründigen Twists und bitterbösen Dialogen aufwartet. Das Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks veredelt den 920. Tatort mit majestätischen Orchesterklängen und verleiht dem fesselnden Genremix etwas Episches, ja fast Sagenhaftes.

Die folgenreiche Dreiecksbeziehung zwischen Murot, Harloff und ihrer gemeinsamen Geliebten Mariella ist das Pendant zum französischen Liebesfilmklassiker Jules und Jim von Francois Truffaut (Murot: „Harloff und ich haben diesen Film mindestens zehn Mal im Kino gesehen!“) und dank farbenfroher Freeze Frames werden sogar Erinnerungen an die Kung-Fu-Film-Welle der 70er Jahre geweckt.

Die hübsche Verpackung wird aber nie zum Selbstzweck: Die bis in die 80er Jahre zurückreichende Geschichte reißt von Beginn an mit und entwickelt sich spätestens auf der Zielgeraden zur stimmungsvollen Tragödie. Immer wieder wird das Geschehen dabei von einem Theater-Erzähler (ebenfalls Alexander Held) kommentiert, der die vierte Wand durchbricht und direkt zum TV-Publikum spricht.

Statt abgegriffenen Verhören nach dem Wo-waren-Sie-gestern-Abend-Prinzip wird der Zuschauer Zeuge eines Höhepunkts der vielgescholtenen öffentlich-rechtlichen TV-Unterhaltung: Hier hat einfach alles Leinwandformat, und manchmal friert die Szenerie sogar ein, um kunstvoll zum Gemälde verarbeitet zu werden.

Wer am Ende nur die Toten zählt, hat schlichtweg nicht verstanden, worum es geht: Anders als beim bisherigen Leichenrekord in Kopfgeld artet der Tatort nie zum substanzlosen Actiongewitter aus, sondern macht eindrucksvoll deutlich, was mit den Gebühren der Zuschauer in 90 Minuten möglich sein kann, wenn nur die richtigen Filmemacher am Werk sind.

Im Schmerz geboren sprengt als faszinierende Mischung aus romantischem Liebesdrama, brutalem Rachethriller und wendungsreichem Gangster-Epos sämtliche Grenzen und ist damit der beste und außergewöhnlichste Tatort aller Zeiten.

Er ist Kunst, er ist Kino, er ist Krimi. Er ist Kult!

Bewertung: 10/10


Kommentare

16 Antworten zu „Im Schmerz geboren“

  1. Nach wie vor mein Lieblingstatorr, auch wenn es nicht unbedingt ein Krimi ist. Da passt aber nicht wirklich alles!
    Witzig, dass Leute schreiben, dass sie Krimi sehen wollen und dann als Beispiel den Klamauk aus Münster erwähnen. Macht Sinn 😀

  2. Avatar von Anonym

    Einfach klasse und genial!
    KEIN typischer Tatort aber großes Kino/Theater.
    Perfekt, auch die Musik.
    Der etwas "überladene" Schluß (Bachs Choral) – erinnert an Taratino.
    Ein ganz besonderer Film (aus deutscher Produktion 😉 ).

  3. Avatar von Anonym

    Netter Versuch mit Theaterstilmitteln.
    Kurz: schwache und dümmliche Frauendarstellung und eine Horde destruktiver Männer zu Helden stilisiert, welche massive Dummheit demonstrieren und sinnlosem Abschlachtungstrieb folgen. Einmal mehr zeigt sich hier die massive Dummheit des Menschen.

  4. Habe einfach nur Mitleid für diese ganzen RTL2 Deppen, die hier schreiben es war mist. Wieso schaut ihr euch einen Wiesbaden Tatort an, wenn ihr nichtmal alle Witze bei Two and a half Brain versteht. Das ist nix für euch. Verpisst euch zu Shoppig Queen ihr hirnlosen Hartz Fear Deppen. Mal den falschen Sender reindrehen … ok. Aber sich dann noch im Internet beschweren, daß was gutes kam… die Kuppe. Mein Trost ist, daß auch ihr GEZE zahlen müsst obwohl ihr das Ding aus Wiesbaden nicht verstandn habt. Genial!

    Zum TO: Super Nummer. Theater mal für zu Hause. Leider wird versucht immer mehr hirnlose Quote mit dem Tatort zu machen. Spitzenteams wie Berlin (Raake / Alinovic) müssen aufhören, hingegen Langweiler wie Köln weitermachen dürfen. Auch Münster ist nur noch Klamotte. Demnächst sehen wir das, was der biertrinkende Ruhrpott-Depp am liebsten hat im Tatort. Roland Kaiser und Helene Fischer im Tatort. Um so mehr Wert haben solche Geniestreichen wie der Wiesbadener "Im Schmerz gebohren". Für alle anderen die hier nörgeln, weils zu hoch war, einfach Fresse halten und wieder euer "Reality – TV" schaun. Danke…

  5. Mehr davon!!!!

  6. Kaum zu toppen!. Zugegeben – unerwartet, dass ein "Tatort" Grenzen sprengt. Diese Mischung aus Theater und Film hat Niveau und passt nicht in das übliche Tatortschema.
    Aber gerade darum war´s einfach nur überraschend genial.
    Weiter so!

  7. Da wird Fernsehen zum grossen Kino. Aussergewöhnlich. Gut.

  8. DER BESCHISSENSTE TATORT ALLER ZEITEN! Seit wann werden Krimis mit Theaterstücken vermischt? Das ging mir echt aufn Sack das dumme Gesülze zwischen drin. Echt schade. Habs nur bis zum Schluss angesehn weil ich wiessen wollte ob der Massenmörder auch noch gekillt wird. Nee nee, die Folgen mit Börne, Ballauf , Schenk und Co sind wahrlich schöner. Es ist auch schade das die Kommissarin nicht mehr läuft.

  9. Seit "Das Böse" für mich der beste Tatort!

  10. Ein absolutes Meisterwerk! Weiter so! joshua

  11. Sehr großes Lob!! Wir haben uns köstlich amüsiert und haben den Tatort wirklich genossen. Es war einer der besten und sehenswertesten Tatorte ever – und wir sehen das nun schon seit zig Jahren jeden Sonntag :-).
    Klar – es war kein normaler Tatort und ich würde es auch nicht begrüßen, wenn der Tatort jeden Sonntag so aussehen würde, aber dieser war nun wirklich ganz großes Kino – oder besser Theater!
    Riesiges Lob an die Macher und Schauspieler und vielen Dank für einen sehr schönen Fernsehabend, der unvergessen bleibt 🙂

  12. Der beste Tatort seit Beginn der Serie. Ulrich Tukur als Ermittler Murot – grandios. Erinnert mich manchmal an eine schelmische Variante von Maigret (auch die Namenswahl lässt das zu). Ulrich Matthes als der ultimative Bösewicht – auch wenn manchmal der Göbbels aus ihm kam – das wird er wohl nie los. Der Theatererzähler, umgebracht in der Mitte des Stückes, stakst am Ende durch das Leichenfeld. Dazu eine Reminiszenz an die Toten des Tatorts. Unglaublich in Idee und Umsetzung.
    Die Musik dazu – toll musiziert und passend zu den Szenen, wenn auch am Rande des Kitsch bei Bachs Choral am Schluss.

    Dieser Tatort zeigt ein gesamtgesellschaftliches Problem auf: Unsere Bildung ist arbeitsmarktorientiert, Kultur fällt hinten ab. Fehlendes Wissen zu Kultur (in diesem Fall Theater und Musik) sorgt dafür, das man den Film als Kunst abhakt.

  13. Avatar von Josef Kickartz
    Josef Kickartz

    Auch auf die Gefahr hin, dass nicht so viele diesen Tatort "gut" finden.

    Meine Meinung:

    Once Upon a Time in Wiesbaden!

    GRATULATION, der Inhalt, die Schauspieler, die Musik und das Szenenbild. Eine echte Sternstunde, die weit über TATORT hinaus geht!!! Prädikat: Wirklich sehenswert und jetzt schon Kult!!!

    PS: Nicht unbedingt ein Tatort, aber ein Beweis, dass in Deutschland auch noch GUTE Filme möglich sind

  14. Das war ohne Worte der schlechteste Tatort der letzten 40 Jahre. Entweder sehe mir einen Krimi an oder gehe ins Theater.

  15. Der schlechteste Tatort ever

  16. Der totale Mist schade um`s Geld der fürn diesen Tatort ausgegeben wurde

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