Folge: 919 | 5. Oktober 2014 | Sender: SWR | Regie: Patrick Winczewski
Bild: SWR/Martin Furch |
So war der Tatort:
Nebulös.
Aber weniger im übertragenen Sinne, sondern buchstäblich: Im 919. Tatort spielt der spannende Auftakt im dichten Winternebel – und als der flüchtende Beat Schmeisser (Marko Dyrlich) tot am deutschen Ufer des Bodensees liegt, kommt nur der Thurgauer Kommissar Mattheo Lüthi (Roland Koch) als Todesschütze in Frage. Der plädiert auf Notwehr – doch als seine Konstanzer Kollegin Klara Blum (Eva Mattes), deren Wege er bereits in Nachtkrapp und Letzte Tage kreuzte, am Tatort eintrifft, sind an der Leiche keinerlei Schmauchspuren zu entdecken. Eine Rachetat Lüthis, basierend auf einem zurückliegenden Entführungsfall?
Mitnichten, ahnt der krimierprobte Zuschauer sofort – doch spätestens nach einer halben Stunde kann es ihm eigentlich völlig egal sein. Dann nämlich spielt das prickelnde Verwirrspiel im Nebel, das Blum zunächst in eine moralische Zwickmühle bringt, überhaupt keine Rolle mehr: Lüthis Suspendierung wird ohne Begründung aufgehoben, und den Tathergang muss sich der Zuschauer einfach selbst zusammenreimen. Winternebel soll in erster Linie ein Entführungsfall sein, oderr überspitzt ausgedrückt: Wer die ersten 30 Minuten des Krimis verschläft, hat nichts verpasst.
Denn auch die zweite Leiche, die Blums Kollege Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) in der Nähe findet, ist für das Kerngeschehen um die Entführung von Anna Wieler (Annina Euling) nur von marginaler Bedeutung. Deren Eltern hausen (Überraschung!) in einer sterilen, kalten Villa – natürlich, es handelt sich um einen steinreichen Rabenvater (Benedict Freitag, Skalpell) und dessen schon lange nicht mehr glückliche Ehefrau (Elisabeth Niederer, Gehirnwäsche). Wer soviel Geld hat, ist im Tatort grundsätzlich unfähig, ein Haus gemütlich einzurichten.
Dass Winternebel spätestens im Schlussdrittel in Richtung unfreiwilliger Komik abdriftet, liegt aber weniger an diesen eindimensionalen Figuren oder der soliden Regie von Patrick Winczewski (Tod auf dem Rhein), sondern vielmehr am Drehbuch von Jochen Greve (Hochzeitsnacht): Sein Entführer verhält sich in fast allen Situationen – sei es beim Spontan-Gefummel mit der entführten Anna, dem demonstrativen Jojo-Spielen (um im Menschengetümmel auch ja sofort erkannt zu werden!) in der Innenstadt oder beim sorglosen Wegwerfen eines Dosen-Verschlusses – so dämlich wie kaum ein zweiter in der Geschichte der Krimireihe.
Auch sonst hat Greve vor allem kratergroße Logiklöcher und praktische Zufälle im Köcher: Dass die Frau des zweiten Toten, Heike Söckle (Kristin Meyer, Quartett in Leipzig), an einer Pinnwand im Polizeipräsidium zufällig einen Verdächtigen wiedererkennt, mag man noch schmerzfrei hinnehmen, nicht aber die hanebüchene Überwachungsaktion, bei der die Polizei mit sage und schreibe neun (!) Personen fröhlich plauschend eine Uferpromenade entlangschlendert. Wenige Sekunden zuvor hatte Perlmann schließlich noch betont, wie unvorteilhaft eine frühzeitige Entdeckung wäre.
Immerhin: „Wir brauchen ein paar Decken und ’ne große Kanne Kaffee – es kann ’ne lange Nacht werden“, warnt Klara Blum vor einer anstehenden Nachtschicht – und angesichts der ansonsten oft einschläfernden Folgen vom Bodensee mag man Winternebel zumindest eine gewisse Wachhalte-Wirkung nicht absprechen. Das liegt aber eher am treibenden Soundtrack von Heiko Maile, denn ansonsten wird der Krimi einzig von der Frage, ob Anna die Gefangenschaft überlebt, am Leben gehalten. „Wo ist mein Geld? Wo ist meine Tochter?“ fragt ihr spontan besorgter Vater nach der Festnahme des Entführers.
Man möchte ergänzen: Wen interessiert das?
Bewertung: 3/10
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