Folge: 923 | 23. November 2014 | Sender: SWR | Regie: Till Endemann
Bild: SWR/Johannes Krieg |
So war der Tatort:
Antipathieschürend.
Doch nicht etwa gegen den geschiedenen Hauptkommissar Sebastian Bootz (Felix Klare), der in Eine Frage des Gewissens zwischenzeitlich in die Alkoholsucht abdriftet, oder seinen Partner Thorsten Lannert (Richy Müller), der sich wegen eines tödlichen Schusses vor Oberstaatsanwalt Blesinger (Holger Kunkel, Tote Erde) verantworten muss. Nein: Einmal mehr sind es die Rechtsanwälte, die von den Drehbuchautoren der Krimireihe in ein auffallend schlechtes Licht gerückt werden.
Entführen die Juristen ihre hauptverdächtigen Klienten ansonsten häufig vor den Augen der machtlosen Kommissare aus Verhörzimmern oder zeigen sie ihnen ihre Grenzen bei harschen Ermittlungsmethoden auf, will das stadtbekannte Rechtsanwaltspaar Christian (Michael Rotschopf, Borowski und der vierte Mann) und Sabine Pflüger (Caroline Ebner, Auf ewig Dein) diesmal Lannert nach dem tödlichen Schuss auf Geiselnehmer Holm Bielfeldt (Daniel Christensen, Bluthochzeit) wegen fahrlässiger Tötung zur Rechenschaft ziehen.
So falsch sie mit diesem Vorwurf auch liegen, so richtig liegen sie in dem Glauben, dass der loyale Bootz seinen Kollegen bei der Anhörung in blindem Vertrauen mit seiner Aussage entlasten will, obwohl er den Schuss in einem Supermarkt gar nicht hat sehen können. Der Zuschauer ist natürlich von Minute 1 an auf der Seite der Kommissare: Zu profilierungssüchtig tritt Pflüger vor Gericht auf, zu gefühlskalt gibt er sich bei der Befragung der aufgelösten Zeugin Alice Gebauer (Luise Berndt, Auskreuzung) – hier zeigt sich einmal mehr, wie schwer es manche Berufsgruppen (allen voran die Juristen, vgl. Scheinwelten oder Ohnmacht) seit jeher in der Krimireihe haben.
Dass der 923. Tatort zwar ein spannender, aber nicht auf ganzer Linie überzeugender Justizkrimi ist, hat aber auch andere Gründe. Am meisten schmerzt das unglaubwürdige Schlussdrittel, in dem die eingespielten Drehbuchautoren Sönke Lars Neuwöhner und Sven Poser (Blutdiamanten) eine zwölf Jahre zurück liegende Vergewaltigungsgeschichte in den Plot quetschen, deren Auflösung ausgerechnet in den Gerichtssaal führt.
Das bietet zwar die Gelegenheit für einen knackigen Twist auf der Zielgeraden, wirkt aber mehr als konstruiert – und ist doppelt ärgerlich, weil Bootz‘ wackelige Falschaussage und die familiäre Situation des
zunehmend abgehalfterten, von Frau und Kindern verlassenen Hauptkommissars ausreichend Stoff für ein mitreißendes
Justizdrama geboten hätte.
Statt aber die Frage, wie weit blinde Loyalität unter Kollegen reichen darf, konsequent zuzuspitzen, geht nach der von Regisseur Till Endemann (Zirkuskind) packend in Szene gesetzten Supermarkt-Geiselnahme alles seinen gewohnten Gang: Assistentin Nika Banovic (Mimi Fiedler) hält im sozialen Netzwerk „Stutt-net“ Ausschau nach Verdächtigen, während der bissige Rechtsanwalt Pflüger auf Fehler hofft und Lannert in der Tübinger Hausbesetzer-Szene ermittelt. Staatsanwältin Emilia Alvarez (Carolina Vera) schickt den labilen Bootz derweil in den Zwangsurlaub – und nicht etwa Lannert, der sich immerhin wegen fahrlässiger Tötung vor
Gericht verantworten muss.
Wirklich einleuchten will auch dieser Aspekt nicht – und so steht unter dem Strich ein spannender, aber unter vielen Logiklöchern und Zufällen leidender Tatort, der im Vergleich zu ähnlich gelagerten Justizkrimis wie dem Münchner Meilenstein Nie wieder frei sein deutlich zurückbleibt.
Immerhin: Felix Klare darf bei seinem 15. Tatort-Einsatz endlich einmal zeigen, was in ihm steckt und sich von seinem sauberen Schwiegersohn-Image emanzipieren. Auch die Beziehung zwischen Lannert und Bootz wird durch die Falschaussage erschüttert – das tut dem sonst meist unspektakulär agierenden Ermittlerduo gut und treibt die Kriminalhandlung voran, statt sie auszubremsen, wie es private Nebenkriegsschausplätze im Tatort sonst so oft tun.
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