Folge: 922 | 16. November 2014 | Sender: rbb | Regie: Klaus Krämer
Bild: rbb/Frédéric Batier |
So war der Tatort:
Entschlossen. Und das trotz des wohl unentschlossensten Krimititels aller Zeiten: Vielleicht.
Man mag im 922. Tatort vieles hinterfragen: Vielleicht ist die mit Minority Report– und Mystery-Anleihen durchsetzte Hellseher-Geschichte etwas weit hergeholt. Vielleicht hätte der Ausstieg von Hauptkommissar Till Ritter (Dominic Raacke), der die Bühne im letzten Berliner Tatort Großer schwarzer Vogel ohne Abschiedsgruß verlassen musste, zumindest in einem Nebensatz aufgegriffen werden sollen. Und vielleicht herrscht beim ersten und letzten Solo-Auftritt von Hauptkommissar Felix Stark (Boris Aljinovic) eine gute Stunde lang auch alles andere als Hochspannung.
Die Entschlossenheit und den Mut zum Unkonventionellen aber mag man Regisseur und Drehbuchautor Klaus Krämer, der zuletzt das prickelnde Kammerspiel Machtlos und die Suspense-Hommage Hitchcock und Frau Wernicke inszenierte, kaum absprechen: Der Autorenfilmer inszeniert einen eigenwilligen, aber denkwürdigen Abschied für Stark und entscheidet sich ganz bewusst dafür, sein TV-Publikum mit einer wunderbar offenen Schlusspointe in den Sonntagabend zu entlassen. Wer die eher zähe, von melancholischen Klavierklängen begleitete
erste Filmstunde durchhält, wird mit einem packenden
Finale belohnt.
So mancher Zuschauer dürfte nach dem Abspann noch lange über das weitere Schicksal des Berliner Hauptkommissars sinnieren – warum auch nicht? Erschossene, erdrosselte oder versetzte Tatort-Ermittler(innen) gab es zuletzt schließlich gleich reihenweise – einen brutalen Cliffhanger allerdings auch, und der fiel im Münchner Meilenstein Am Ende des Flurs noch eine Ecke radikaler aus als hier.
Aber worum geht es in Krämers Psychostück eigentlich? Da ist die norwegische Psychologie-Studentin Trude Bruun Thorvaldsen (Lise Risom Olsen), die in Alpträumen von angeblichen Mordfällen aus der Zukunft gequält wird und vom Tod der Studentin Lisa Steiger
(Tinka Fürst) träumt. Zwei Wochen später wird diese nach der Trennung von
ihrem Freund Florian Patke (Florian Bartholomäi, Auf ewig Dein)
erwürgt aufgefunden. Zufall oder Vorhersehung?
Stark ist hin- und hergerissen – und mit ihm natürlich der Zuschauer, der vermeintliche Polizeirealität erwartet und keine Hellseherei. Nur weil die smarte Norwegerin mit beiden Beinen im Leben steht und selbst am meisten unter ihren Träumen zu
leiden scheint, wird der surreal angehauchte Plot in der Realität
verankert – ganz anders als beispielsweise der schwache Schweizer Tatort Zwischen zwei Welten, in dem Reto Flückiger (Stefan Gubser)
und Liz Ritschard (Delia Mayer) spontan über ein Medium Kontakt zum
Reich der Toten aufnahmen.
Wer Traumdeutung zugunsten polizeilicher Ermittlungsarbeit als realitätsfern ablehnt, wird mit dem Film aber keine Freude
haben, zumal keine Gelegenheit zum Miträtseln besteht: Der Zuschauer
wird einleitend Zeuge, wie Armin Teigler (Niels Bormann, Vergessene Erinnerung) Steiger
erwürgt. Die Motive des Serientäters bleiben in der Folge leider auf der Strecke: Dass der Mörder seinen Opfern beispielsweise
„Schatzkästchen“ gewidmet hat, wird nur
beiläufig angerissen („Wir schwimmen in Beweisen!“) und nicht näher ergründet, auch sein
Aufbrausen
gegenüber dem besonnenen Stark wirkt substanzlos.
Es sind kleinere Schwächen in einem ansonsten überzeugenden Krimi, der auf der Zielgeraden richtig in Fahrt kommt und mit Schauspielerin Lise Risom Olsen eine tolle Neuentdeckung in seinen Reihen weiß. Die Norwegerin feiert ein bärenstarkes Debüt im deutschen Fernsehen und gibt die Studentin weit weniger entrückt, als man es
angesichts ihrer übernatürlichen Fähigkeiten vermuten sollte. Das tut
nicht nur der Figur gut, sondern dem ganzen Krimi, an dessen Klasse die Berliner Nachfolger Meret Becker und Mark Waschke 2015 mit ihrem Debüt Das Muli erstmal anknüpfen müssen. Ob sie das schaffen?
Vielleicht.
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