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Borowski und der Himmel über Kiel

Folge: 933 | 25. Januar 2015 | Sender: NDR | Regie: Christian Schwochow

So war der Tatort:

Kopflos.

Und das nicht zum ersten Mal in einem Kieler Tatort: Bereits in Borowski und der vierte Mann bekam Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) den abgetrennten Kopf eines Mannes serviert – doch während der Mörder diesen damals kunstvoll auf dem Schreibtisch seines Opfers drapierte, wirft er ihn in Borowski und der Himmel über Kiel arglos in einen matschigen Fluss.

Die 933. Tatort-Ausgabe ist eine der härteren Sorte, denn wie schon im auf einer Mankell-Vorlage basierenden Borowski und der vierte Mann weht von Beginn an skandinavischer Wind: ein brutaler Axtmord, klirrende Kälte, finstere Wälder und nicht zuletzt verschrobene Dorfbewohner, die dem Film Lokalkolorit einhauchen. Und doch hat Borowski und der Himmel über Kiel, der 2014 auf dem Filmfest Hamburg lief und im fiktiven Mundsforde spielt, mehr von der US-Erfolgsserie Breaking Bad oder heftigen Drogendramen á la Requiem For A Dream als von einem typischen Skandinavien-Krimi: Schuld daran ist die chemische Droge Crystal Meth, die bereits die Wiener Tatort-Macher inspirierte.

Während in Paradies allerdings eine realitätsferne Altersheim-Story zusammengeschustert wurde, erweitern Drehbuchautor Rolf Basedow und Regisseur Christian Schwochow die Perspektive: In einer parallel montierten Rückblende arbeiten sie die aufwühlende Vorgeschichte von Rita Holbeck (Elisa Schlott) und Mike Nickel (Joel Basman, Der letzte Patient) auf, deren Leben sich nur noch um das Beschaffen der Droge, ekstatische Parties und leidenschaftlichen Sex drehte. Nun liegt Mikes Kopf im Matsch – und es ist an Borowski und seiner Kollegin Sarah Brandt (Sibel Kekilli), die Umstände seines Todes und den Verbleib seines Torsos zu klären.


BOROWSKI:
Das ist doch was für Sie, Frau Brandt. Kein Kopf, aber ein Handy.

Borowski und der Himmel über Kiel ist ein mitreißender, wenn auch ungewöhnlicher Tatort, denn die Kommissare treten häufig in den Hintergrund. Während die Ermittlungsarbeit – abgesehen vom spontanen Hühnchendinner mit Kriminalrat Roland Schladitz (Thomas Kügel) – ohne größere Überraschungen abläuft, blickt der Zuschauer tief in die Gefühlswelt der jungen Rita, die durch die Liebe in den Abhängigkeitssumpf gerät und von einer wilden Feier zur nächsten tigert.

Dass ihre durchaus amüsanten Eskapaden die ernste Grundausrichtung des Films kaum auflockern (oder gar ruinieren, man denke an den selten peinlichen Pilzkonsum jugendlicher Straftäter in Der Wald steht schwarz und schweiget), hat zweierlei Gründe: Es liegt zum einen am überragenden Spiel von Newcomerin Elisa Schlott, die es versteht, facettenreich
zwischen aufgeputschtem Party-Girl, liebevoller Schwester, verzweifeltem Druffi und nach Halt suchender Heranwachsender hin- und herzuwechseln. Zum anderen werden Ritas wirre Glückseruptionen gekonnt aufgefangen – so auch in der bärenstarken Szene mit ihrer hilflosen Mutter, die in Tränen ausbricht, als ihre rückfällig gewordene Tochter high nach Hause kommt und ihr freudestrahlend Komplimente macht.

Was der regelmäßige Konsum von Crystal Meth aus Menschen macht, zeigt sich auch an der kreidebleichen Ausreißerin Lisa Kamp (Anke Retzlaff) – noch beklemmender ist allerdings die brutal nüchtern inszenierte Doppelvergewaltigung der angenehm klischeefrei dargestellten Drogendealer Andy (Rafael Stachowiak) und Furkan (Matthias Weidenhöfer, Brüder). Anders als in den eingangs genannten Drogendramen liegt der Schwerpunkt in Borowski und der Himmel über Kiel im Übrigen weniger auf der drastischen Darstellung der Abhängigkeitsfolgen, als man vermuten sollte – ein mutiger Ansatz, doch die Rechnung geht auf.

So ist der achte Fall von Borowski und Brandt trotz seiner ungewöhnlichen Erzählstruktur letztlich ein echter Qualitätskrimi aus Kiel: hart, kompromisslos und herausragend gespielt.

Bewertung: 8/10


Kommentare

Eine Antwort zu „Borowski und der Himmel über Kiel“

  1. "Borowski und der Himmel über Kiel" ist ein mitreißender, wahnsinnig authentischer Tatort, der hervorragend zum Kieler Team passt.
    Dieser Film funktioniert als Kriminalfall sehr gut: Bis zum Schluss ist offen, was passiert ist und wer das Opfer ermordet hat. Trotzdem ist der Fall eher im Hintergrund, denn die eigentliche Qualität dieses Tatorts liegt darin, dass es sich auf ungewöhnliche Weise mit Crystal Meth auseinandersetzt.
    Warum ungewöhnlich? Weil hier, anders als sonst oft üblich, nicht der Tod einer Person durch Drogenkonsum einen Vorwand liefert, dass sich die Kommissare anschließend mit bedrückter Miene über die Gefahren des Drogenkonsums austauschen können (und dann vielleicht auch noch ihren Job an den Nagel hängen wollen). Nein, dieser Tatort geht subtiler vor, das meiste spielt sich hinter dem Rücken der Kommissare ab: Er zeigt eindrücklich die Folgen des Drogenkonsums und vor allem – ebenfalls ungewöhnlich – erklärt er, wie junge Menschen Crystal Meth überhaupt verfallen, worin der Reiz dieser Droge liegt. Herausragend ist also nicht nur die beklemmende Szene von Lisa und ihrer Mutter, in der Lisas überdrehte Art mit der Ernsthaftigkeit ihrer Lage kontrastiert wird, sondern auch die Szene, in der unglaublich nachvollziehbar Lisas Weg zum Drogenkonsum rekonstruiert wird.
    Ebenso gelungen ist die Vergewaltigungsszene, die Lisas missliche Lage weiter unterstreicht und beim Zuschauer höchste Anspannung auslösen wird.
    Buch und Regie sind ausgezeichnet. Und die Darsteller, allen voran Anke Retzlaff, holen nochmal das beste heraus.
    Unterm Strich halte ich diesen Film für einen herausragenden Beitrag zur Tatort-Reihe: 9/10.

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