Folge: 931 | 11. Januar 2015 | Sender: WDR | Regie: Nicole Weegmann
Bild: WDR/Thomas Kost |
So war der Tatort:
Hakenkreuzreich.
Schon bei der ersten Tatort-Besichtigung bilden rechte Schmierereien an den tristen Wänden einer leer stehenden Industrieanlage die Kulisse für den fünften Einsatz von Hauptkommissar Peter Faber (Jörg Hartmann), Martina Bönisch (Anna Schudt), Daniel Kossik (Stefan Konarske) und Nora Dalay (Aylin Tezel) – er führt das Dortmunder Team tief in den braunen Sumpf, in die rechtsextreme Szene, deren Kopf durch die Ermordung von Anführer Kai Fischer nur vorübergehend abgetrennt wurde.
Regisseurin Nicole Weegmann (Romeo und Julia) und Drehbuchautor Jürgen Werner (Franziska), der bereits die ersten vier Faber-Folgen konzipierte, bringen den Krimititel Hydra gekonnt auf den Punkt: Trennt man einen Kopf ab, wachsen andere nach. Dortmund hat sein Problem mit Rechten verschlafen, und auch angesichts des NSU-Skandals oder der PEGIDA-Bewegung legen die Filmemacher ihren Finger auf den Puls der Zeit. „Wir sagen laut, was die schweigende Mehrheit denkt“, brüstet sich der
rechtsextreme Germanistikstudent Nils Jacob (Franz Pätzold) mit einer Parole, die auch von
Thilo Sarrazin oder einem AfD-Funktionär stammen könnte.
Bei der Skizzierung der rechten Szene in schummerigen BVB-Kneipen zeigt sich, dass das Bild vom kahlrasierten Springerstiefelträger überholt ist: Kossik-Bruder Tobias (Robert Stadlober, Der Teufel vom Berg) könnte man mit
Wuschelfrisur und Mütze optisch ebenso der linken Szene
zuordnen wie seine pinkhaarige Freundin Lena Keller (Natalia Rudziewicz, Letzte Tage). Einzig Skinhead Stefan Tremmel (Rolf Peter Kahl, Der Hammer) verkörpert den altbekannten Neonazi-Typus und wird von Faber und Dalay dank deren origineller
„Türkischer Bulle, deutscher Bulle“-Verhörmethodik aufs Kreuz
gelegt.
DALAY:Wollen Sie mit der Türkin wieder vor der Nazi-Nase rumwedeln, ja?
Hydra ist ein mutiger, weil unbequemer und sperriger Tatort, in dem sich die Kommissare – allen voran das launische Enfant terrible Faber – nicht davor scheuen, Klartext zu sprechen.
Während Dalay lernen muss, ihre Abstammung als
Provokationsmittel zu nutzen, gibt sich ihr Chef gegenüber den Neonazis fast kumpelhaft. Weil der exzentrische Faber („Deutscher, Grieche, Türke, Holländer – Nazi kann jeder sein!“) schon mit wenigen Worten das Vertrauen der Rechtsradikalen gewinnt, entlarven die Filmemacher deren Weltbild erfreulicherweise auch
ohne kitschige Brandreden – man stelle sich vor, wie dick der WDR wohl in
einem Kölner Tatort mit Moralapostel Max Ballauf (Klaus J. Behrendt)
aufgetragen hätte.
Dass sich auch die Ermittler unfreiwillig politisch
vorbelasteten Vokabulars bedienen, demonstriert der gewiefte Nils Jacob
am Beispiel „Drittes Reich“ – und belegt damit, wie leicht
man heutzutage durch eine vermeintlich neutrale Äußerung in die rechte
Ecke gestellt werden kann.
Ansonsten ist der Umgangston harsch und aggressiv: Die Stimmung im
Polizeipräsidium erreicht durch die Suche nach einer „Ratte“ einen neuen Tiefpunkt, und
die frisch getrennten Dalay und Kossik sind als Ermittlerduo kaum noch
tragbar. Der türkischen Kommissarin
kommt nach der Attacke vermummter Schläger eine Schlüsselrolle zu, was Aylin Tezel im Tatort erstmalig Gelegenheit gibt zu zeigen, was
schauspielerisch in ihr steckt.
Der Übergriff ist die heftigste Szene in einem kompromisslosen Krimi, dem allerdings im Schlussdrittel ein wenig die
Puste ausgeht: Die Auflösung der Rattenfrage ist früh zu erahnen und dem Konflikt zwischen den Kossik-Brüdern hätte eine dramatischere Zuspitzung gut zu Gesicht gestanden.
Doch allein Fabers Eskapaden entschädigen für die kleinen Schwächen: Der einsame Kommissar kippt diesmal beim Frühstück mit einem Obdachlosen Korn
in seinen Kaffee und ist bei seinen wie immer mit köstlichen One-Linern
gespickten Ego-Touren einzig von Kollegin Bönisch zu bändigen. Für den Tatort aus Dortmund zeigt der Pfeil eindeutig nach oben.
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