Folge: 952 | 21. Juni 2015 | Sender: SWR | Regie: Niki Stein
Bild: SWR/Johannes Krieg |
So war der Tatort:
Weit weniger indisch, als man es angesichts des exotischen Krimititels vermuten sollte: Der Inder kommt im 952. Tatort nämlich nur in Erzählungen und auf einem Foto vor.
Und doch ist er derjenige, der den 16. Einsatz der Hauptkommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) erst heraufbeschwört: Der ausländische Investor war die entscheidende Person im Immobilendeal „Gleisdreieck“, bei dem die durch den Bau von Stuttgart 21 freiwerdenden Flächen von Architekt Busso von Mayer (Thomas Thieme, Das Dorf) bewirtschaftet werden sollten. Der sitzt mittlerweile im Gefängnis – denn der Deal platzte, weil sich der indische Investor als Hochstapler entpuppte und von Mayer seine Schäfchen nicht rechtzeitig ins Trockene brachte.
Regisseur und Drehbuchautor Niki Stein (Pauline) arrangiert den politischsten Tatort seit Jahren und streut fleißig Salz in die schwäbische Wunde: Soviel Lokalkolorit gab es im Stuttgarter Tatort, der oft zu großen Teilen
am SWR-Hauptstandort in Baden-Baden gedreht wird, noch nie. Während die Bagger längst buddeln und Bahn und Städteplaner
gebetsmühlenartig die Vorteile von Stuttgart 21 für die gesamte
Wirtschaftsregion betonen, empört sich so mancher Wutbürger
auch dreieinhalb Jahre nach dem Volksentscheid noch darüber, dass Steuergelder in
Milliardenhöhe dafür ver(sch)wendet werden, 14 Minuten schneller von
Frankfurt nach München fahren zu können.
Stein verwebt den fiktiven Mordfall des Ex-Staatssekretärs Jürgen Dillinger (Robert Schupp, Hydra) gekonnt mit Fakten und Anspielungen auf reale Entscheidungsträger – und lässt von Mayer bei Lannerts regelmäßigen Besuchen im Knast gegen die baden-württembergische Landeshauptstadt vom Leder ziehen.
VON MAYER:Ein Drecksloch, ein städtebaulicher Irrtum, ein zubetonierter Talkessel!
Wer in Deutschlands schlimmster Stau-Stadt Stuttgart mal im Verkehr gestanden hat, der weiß: Ganz Unrecht hat der Mann nicht. Auch Lannert und Bootz quälen sich durch die Blechlawine, doch zu ausufernden Kontroversen kommt es nicht: Während im Kölner Tatort wahrscheinlich eine bemühte Diskussion
zwischen Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) anstünde, lässt Lannert Projektkritiker Bootz einfach im Regen stehen („Dafür haben deine Kinder am Ende
einen schönen Bahnhof.“).
Die konkreten Bezüge zur schwäbischen Realität machen den
Krimi aber vor allem für Ländle-Bewohner zum interessanten Politthriller, und anders als viele andere Tatort-Macher, die sich bei gesellschaftlichen Reizthemen halbgar aus der Affäre stehlen, nimmt Niki Stein auch eine klare Position ein: Am Ende ist Lannert ein Gegner des Projekts und die Botschaft damit unmissverständlich. Einzig Freigänger von Mayer bleibt eiserner Befürworter, taugt aufgrund seiner ausgeprägten Eigeninteressen aber nicht
als Gegenpol zum allgemeinen Lästerkanon.
Trotz des politischen Schwerpunkts und des von Beginn an feststehenden Auftragsmörders Franc Lefevre (Stephane Lalloz) funktioniert Der Inder aber auch als Krimi: Bis zum Showdown auf dem Dach des Bahnhofsturms bleibt offen, wer den Auftrag für die Erschießung gab, und welche Rolle Ex-Ministerpräsident Rubert Heinerle (köstlich: Ulrich Gebauer, Der Finger) zukommt.
Dass die Geschichte ingesamt etwas unübersichtlich gerät, liegt auch an der verschachtelten Erzähltechnik, derer sich zum Beispiel Quentin Tarantino in Pulp Fiction bediente: Es kommt nicht von ungefähr, dass Gerichtsmediziner Dr. Vogt (Jürgen
Hartmann) auf das Gesamtwerk des Regisseurs verweist und sich die
undurchsichtige Mira (Gabriela Lindlova) als tschechische Jackie Brown-Variante entpuppt. Angesichts solcher Hollywood-Vorbilder hätte
es die anstrengende Fee Waldner (Elisabeth Leistikow) gar nicht
mehr gebraucht – die überzeichnete Szene-Bloggerin („500.000 Klicks
täglich!“) bringt die
Geschichte als müder Abklatsch von Investigativ-Reporterin Zoe Barnes (Kate Mara) aus dem Netflix-Hit House of Cards kaum voran.
Schreibe einen Kommentar