Folge: 953 | 5. Juli 2015 | Sender: SRF | Regie: Manuel Flurin Hendry
Bild: ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler |
So war der Tatort:
Halluzinativ.
Man könnte fast meinen, der Wiesbadener LKA-Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur) hätte sich in den Schweizer Tatort verirrt – schließlich wurde dieser vor allem in der Krimigroteske Das Dorf dank seines Hirntumors von schlimmen Halluzinationen geplagt. In Luzern geht aber nach wie vor Kommissar Reto Flückiger (Stefan Gubser) auf Täterfang: Schon bei der ersten Tatort-Begehung – der nigerianische Flüchtling und
Drogendealer Ebi West (Charles Mnene) wird tot unter einer Brücke an
einem See aufgefunden – sieht Flückiger eine Ratte
vorbeihuschen, die gar nicht existiert, und auch eine Frau am anderen
Seeufer scheint er sich nur eingebildet zu haben.
„Ist es ein Tumor?“, fragt der von Visionen gepeinigte Kommissar seinen Arzt – doch der gibt Entwarnung, und ein müder Murot-Abklatsch ist wohl auch das Letzte, was den quotentechnisch angeschlagenen Krimi aus Luzern weiterbringen würde. Zwar ließ das SRF ein paar Wochen vor der Erstausstrahlung von Schutzlos durchklingen, dass man bereits an die Zeit nach Flückiger denke, doch nach einer Abschiedsvorstellung sieht sein achter Einsatz nicht aus.
Flückigers verordnete Bettruhe führt vielmehr dazu, dass im 953. Tatort endlich einmal Kollegin Liz Ritschard (Delia Mayer) ins Rampenlicht rückt: Von ihr weiß der Zuschauer bisher eigentlich nur, dass sie auf Frauen steht (vgl. Schmutziger Donnerstag), doch auch in Schutzlos erfährt er über die lesbische Ermittlerin nichts Neues. Selbst Drogenfahnder Franz Hofstetter (Andreas Krämer, Schwelbrand), der Ritschard bei den Ermittlungen im Drogenmilieu unter die Arme greift, spielt sich in Flückigers Abwesenheit stärker in den Vordergrund als die blasse Kommissarin.
Der SRF gesteht Ritschard nach wie vor keinen
Wiedererkennungswert zu, und das macht sie als tragende Figur auch in diesem
Tatort zu uninteressant und austauschbar. Selbst ihren Solo-Abstecher nach Italien nutzt Regisseur Manuel Flurin Hendry (Satisfaktion), der mit Josy Meier (Zwischen zwei Welten) auch das Drehbuch schrieb, nicht für tiefergehende Charakterzeichnung.
Anders als ihr frisch zum Polizeikommandanten beförderter Chef Eugen Mattmann (Jean-Pierre Cornu), der seinen Status als nervtötendste Figur der gesamten Krimireihe eindrucksvoll untermauert, ist Ritschard aber zumindest kein wandelndes Klischee: Mattmann zeigt sich auch in Schutzlos wieder als völlig instinktfreier, mediengeiler und überzeichneter Vorgesetzter, der den Ermittlern grundlos Knüppel zwischen die Beine wirft.
Die stets bemüht wirkenden Streitgespräche zwischen ihm und den Kommissaren bringen die Geschichte unnötig aus dem Tritt, dabei birgt das Drehbuch großes Potenzial: Es bringt die Perspektivlosigkeit afrikanischer Flüchtlinge in der Schweiz auf den Punkt, denn deren beklemmendes Schicksal wird durch Schlüsselfigur Jola West (Marie-Helene Boyd) greifbar. Die Nigerianerin ist wie das dealende Mordopfer in der Hoffnung auf das große Geld nach Europa geschleust worden und sorgt am Ende doch nur dafür, dass sich der Drogenboss im Hintergrund eine goldene Nase verdient.
Dass sie mit dem Toten ein besonderes Verhältnis verbindet, lassen die Filmemacher lange im Ungewissen – dieser Twist erweist sich aber als zu vorhersehbar, so dass schlussendlich auch die Auflösung nicht überzeugt. Pünktlich zum Showdown steht Flückiger nämlich wieder im Präsidium auf der Matte – und hat natürlich einen entscheidenden Geistesblitz, der den Fall noch einmal in ein völlig neues Licht rückt. So bleibt der Auftritt von Mona Petri (Wunschdenken) als heruntergekommenes Drogenwrack Sascha Zurbuchen das einzige echte Highlight in diesem ansonsten durchwachsenen Tatort aus Luzern.
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