Folge: 969 | 1. Januar 2016 | Sender: NDR | Regie: Christian Alvart
Bild: NDR/Gordon Timpen |
So war der Tatort:
Eher sprachlos als atemlos – denn Superstar Helene Fischer darf bei ihrem mit Spannung erwarteten Gastauftritt im umfangreich beworbenen Action-Spektakel Der große Schmerz als russische Killerin und Ex-Prostituierte Leyla kaum mehr als ein paar Sätze sagen.
„Freundin wurde totgefickt, aber ich nicht“, ist noch die schlagzeilenträchtigste ihrer wenigen deutsch-russischen Textzeilen – doch wer glaubt, der Auftritt der zum Zeitpunkt der TV-Premiere in Deutschland beispiellos erfolgreichen Sängerin sei ein Schwachpunkt des Films, sieht sich getäuscht. Die große Hoffnung im Kampf gegen die übermächtige Quotenkonkurrenz aus Münster macht ihre Sache überraschend gut – Fischer muss angesichts des geringen Redepensums aber auch kaum mehr tun, als durch ihre grünen Kontaktlinsen gefühlskalt aus der Wäsche zu gucken.
Der NDR und Drehbuchautor Christoph Darnstädt, der bereits Willkommen in Hamburg und Kopfgeld konzipierte, wissen um die geringe Schauspielerfahrung der Schlager-Queen und lassen daher andere die Kohlen aus dem Feuer holen: Im Rahmen einer recht simpel gestrickten Entführungsstory liefert sich LKA-Kommissar Nick Tschiller (Til Schweiger) erneut ein erbittertes Duell mit Erzfeind Firat Astan (Erdal Yildiz, Mutterliebe) und steht dabei noch stärker im Brennpunkt als bisher.
Astan sitzt zwar hinter Gittern, hat aber vom Knast aus einen russischen Hilfstrupp um Killerin Leyla angeheuert, der prompt Tschillers Tochter Lenny (Luna Schweiger) und seine Ex-Frau Isabella Schoppenroth (Stefanie Stappenbeck) kidnappt. Tschiller wagt einen Alleingang in bester Rambo-Manier und seine meist tödliche Selbstjustiz stellt am Ende sogar das gute Verhältnis zu seinem treuen Partner Yalcin Gümer (Fahri Yardim) auf die Probe.
GÜMER:Wir sind hier nicht in Texas, okay?
Auch wenn der 969. Tatort, der wegen der Pariser Terroranschläge um sechs Wochen verschoben wurde, nicht in den Vereinigten Staaten spielt, ist er näher dran an amerikanischem Popcorn-Kino als die meisten anderen Ausgaben der Krimireihe: Regisseur Christian Alvart, der bereits die ersten beiden Tschiller-Einsätze inszenierte, beweist trotz der inflationären Verwendung von Zeitlupe erneut sein gutes Gespür für Actionfilme und liefert gemeinsam mit Kameramann Jakub Bejnarowicz (Die Ballade von Cenk und Valerie) Bilder, die die große Leinwand nicht scheuen müssten.
Die Schwächen der Geschichte kann die überzeugende Optik allerdings nicht kaschieren: Wer schon Willkommen in Hamburg und Kopfgeld nicht mochte, wird auch an Der große Schmerz keinen Gefallen finden. Raffinierte Wendungen, pfiffige Dialoge oder vielschichtige Charaktere mit Tiefgang sucht man vergebens: Einzig bei Leyla verwischen die ansonsten überdeutlich gezogenen Grenzen zwischen Gut und Böse.
Zu den Bösen zählt auch Sascha „Ferris MC“ Reimann (Hochzeitsnacht), der den Titelsong zur Fortsetzung Fegefeuer beisteuert und in der Rolle des brutalen Aleksej Brotzki mit von der Partie ist: Der Trend zu prominenten Gaststars – man denke zurück an Boxer Arthur Abraham in Willkommen in Hamburg – setzt sich an der Waterkant fort. Und es ergeben sich weitere Parallelen zu Kinofilmen wie Kokowääh oder Honig im Kopf: Schweiger ist nicht nur als LKA-Kommissar in der Zwickmühle gefordert, sondern auch in seiner Paraderolle als besorgter Vater.
Trotz des reißerischen Krimititels wirkt der Großteil der Emotionen allerdings behauptet – da kann ihm Tochter Luna beim kitschigen Showdown noch so bedeutungsschwanger in Zeitlupe um den Hals fallen. Auch mit Gümers ständigen Selbstgesprächen, die in einem albernen Monolog vor dem Spiegel gipfeln, übertreiben es die Filmemacher deutlich – viel witziger fällt da ein Besuch im Bordell aus, bei dem der aufgeweckte Hamburger Jung‘ eine Prostituierte mit üppiger Lockenfrisur Valderrama tauft.
Unter dem Strich weckt Der große Schmerz aber nur bedingt die Neugier auf Fegefeuer, den zweiten Teil der Doppelfolge, und den Kino-Tatort Tschiller: Off Duty, der im Februar 2016 in den Kinos startet. Dass in beiden Filmen auch der charismatische Bösewicht Astan zurückkehrt, verdankt er einem dicken Logikloch im Drehbuch – es ist nicht das einzige, mit dem der dritte Schweiger-Tatort zu kämpfen hat.
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