Folge: 989 | 5. Juni 2016 | Sender: rbb | Regie: Torsten C. Fischer
Bild: rbb/Frédéric Batier |
So war der Tatort:
Explizit.
Denn so ausführlich von der Kamera eingefangener Schwulen-Sex sucht in der fünfundvierzigjährigen Tatort-Geschichte seinesgleichen: Der Berliner Hauptkommissar Robert Karow (Mark Waschke) hat in seiner Wohnung eine Kamera installiert, und die hat nicht nur die heiße Nummer mit einer Bar-Bekanntschaft dokumentiert, sondern auch ein weiteres Detail – die Waffe, die im Tatort Ätzend zu seiner Verhaftung führte, wurde ihm nach dem Sex untergejubelt.
Alles beim Alten also im Krimi aus der Hauptstadt: Karow erscheint in Wir – Ihr – Sie im Präsidium und muss zunächst den Hohn und Spott der Kollegen über sich ergehen lassen, weil Assistent Mark Steinke (Tim Kalkhof) ein Video seiner nächtlichen Nackt-Aktivitäten ins Netz gestellt hat. Kollegin Nina Rubin (Meret Becker) und Hospitantin Anna Feil (Carolyn Genzkow) sehen die Sache locker, während sich Karow mit einer köstlichen Retourkutsche bei Steinke revanchiert und damit für einen Lacher zum Auftakt sorgt.
Ansonsten setzt sich fort, was in Berlin bereits zum Markenzeichen wurde: Neben dem neuen Mordfall – eine Frau wurde im Parkhaus der Shopping Arkaden am Potsdamer Platz totgefahren – wird auch die Geschichte um Karows erschossenen Ex-Partner Maihack weitergeführt. Wer die ersten beiden Folgen verpasst hat oder sich nur ungenau erinnert, kann der Nebenhandlung trotzdem mühelos folgen: Wie schon in Ätzend fasst ein einleitender Rückblick alles Wichtige zusammen. Auch für Rubins zerrüttetes Familienleben nehmen sich die Filmemacher viel Zeit, wodurch die Tote im Parkhaus gelegentlich aus dem Blickfeld gerät – was aber zu verschmerzen ist, denn die üblichen „Hatte Ihre Frau Feinde?“-Dialoge sind nach einer halben Stunde abgefrühstückt und die Handlung entwickelt sich in eine andere Richtung.
Drehbuchautorin Dagmar Gabler (Schlafende Hunde) setzt nur einleitend auf die typischen Versatzstücke eines Whodunit: Schnell wird klar, dass Fahrzeughalterin Birgit Hahne (Valerie Koch, Hydra) als Täterin ausscheidet, obwohl die Geliebte von Carsten Werner (Steffen Münster, Das Haus am Ende der Straße), dem Mann der Toten, ein Motiv hätte.
Ins Visier der Ermittler geraten vielmehr die egozentrische Louisa Müller (Cosima Henman), die introvertierte Charlotte Buske (Valeria Eisenbart) und die aufmüpfige Paula Zink (Emma Drogunova), die sich zur Tatzeit im Shopping-Center aufgehalten und den Jeep gekapert haben: Wie schon im starken Berliner Tatort Gegen den Kopf steht die spannende Frage im Mittelpunkt, ob es den Ermittlern am Ende gelingt, den aufmüpfigen Teenagern das Handwerk zu legen. Und anders als im ähnlich gelagerten, aber oft überschätzten Kölner Tatort Ohnmacht gestaltet sich das Gebahren der rotzfrechen Schülerinnen authentisch – was neben den bissigen Dialogen auch an den überzeugenden Jungdarstellerinnen liegt, deren Fäkalsprache und offene Rebellion gegen die elterliche und polizeiliche Autorität nie gekünstelt wirkt.
War Das Muli, der erste Fall mit Becker und Waschke, noch eine knallharte Studie des Berliner Drogenmilieus, arbeiten die Filmemacher um Regisseur Torsten C. Fischer (Narben) in diesem disharmonischen, oft düsteren Krimi gekonnt die soziale Isolation und den erschreckenden Empathiemangel der jungen Frauen heraus, die in den bunten Scheinwelten von Facebook und Instagram zu Hause sind und für die eine Welt zusammenbricht, wenn Papa Thorwald Müller (Thomas Heinze, Der hundertste Affe) mal für einen Abend das Smartphone einkassiert.
Erst am Ende, als das verschworene Trio auseinander bricht und sich gegenseitig aus Freundeslisten löscht, tragen die Filmemacher deutlich zu dick auf. Auch über Ben Werner (Béla Lenz), den Sohn des Opfers, erfähren wir wenig. Trotzdem ist die Botschaft eindeutig, denn es gibt unter dem Strich nur Verlierer: Die Eltern, die den Draht zu ihren Kindern verloren haben, die Schülerinnen, deren Realität sich ins Netz verlagert hat, und auch die Kommissare, deren Vertrauen zueinander spätestens in der Schlussminute erschüttert wird. Allen kollegialen Annäherungsversuchen zum Trotz.
KAROW:Wir sollten uns duzen. Ich bin Robert.
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