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Freitod

Folge: 993 | 18. September 2016 | Sender: SRF | Regie: Sabine Boss

Bild: ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler

So war der Tatort:

Sterbebegleitend.

Schon bei der ersten Begegnung mit Dr. Hermann (Andreas Matti, Wunschdenken), dem Leiter der Sterbehilfe-Organisation „Transitus“, lernen die Luzerner Ermittler das korrekte Vokabular: Sterbebegleitung ist nicht dasselbe wie Sterbehilfe, weil der oder die Sterbende den Giftcocktail selbst einnehmen muss.

Nicht zum ersten Mal wird dieses gesellschaftliche Reizthema – man denke an den brillanten Münchner Tatort Außer Gefecht oder den etwas überschätzten Ludwigshafener Beitrag Der glückliche Tod – in der Krimireihe aufgegriffen, doch allzu ausufernde Debatten bleiben dem Zuschauer in Freitod erspart: Die Drehbuchautorinnen Josy Meier und Eveline Stähelin streuen zwar einige Allgemeinplätze zum Für und Wider dieser Praxis in die Breite, tragen die Diskussion aber nicht auf dem Rücken von Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) aus, die bei den Ermittlungen erwartungsgemäß zwischen die Fronten der Befürworter und Gegner geraten.

Eine Diskussion im Auto, die im gesellschaftskritischen Tatort aus Köln wohl in eine minutenlange Kontroverse ausgeartet wäre, würgt Flückiger charmant ab, denn er ist mit seinen Gedanken bei seiner Flamme Evelyn, die der Zuschauer weiterhin nicht zu Gesicht bekommt. Deutlich packender als die bemühte SMS-Liaison, die offenbar der Charakterzeichnung dienen soll, gestaltet sich die Inszenierung des Mordfalls: Nachdem die von schlimmen Schmerzen gepeinigte Gisela Aichinger (Barbara-Magdalena Ahren, Frau Bu lacht) die Sterbebegleitung von Transitus in Anspruch nimmt und friedlich einschläft, wird ihre Sterbebegleiterin Helen Mathys (Ruth Schwegler, Zwischen zwei Welten) brutal mit einer Plastiktüte erstickt – eine starke Szene.

Als Hauptverdächtiger drängt sich Aichingers obdachloser Sohn Martin (Martin Butzke, Waffenschwestern) auf, der den gegen die Sterbebegleitung protestierenden Mitgliedern der christlichen Vereinigung Pro Vita schon bei seinem ersten Auftritt eindrucksvoll klar macht, dass er nicht mehr alle Nadeln auf der Tanne hat.


AICHINGER:
Büßen! Ihr werdet büßen! Blut! Frösche! Vieh- und Menschenpest!

Würde das Androhen der zehn biblischen Plagen in einem Tatort aus Münster oder Weimar vielleicht zum Schmunzeln animieren, ist Aichingers irritierender Auftritt in diesem Krimi todernst gemeint: Die Filmemacher haben mit dem cholerischen Hauptverdächtigen eine überaus anstrengende Figur geschaffen, zu der der Zuschauer kaum Zugang finden kann und die angesichts ihrer Krankheit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Täter ausscheidet.

Dennoch wird Aichingers Streifzug hinter dem Rücken der Kommissare ausführlich dokumentiert – eine Rechnung, die zu keinem Zeitpunkt aufgeht. Dem cholerischen Plastikbeutelträger („Mama wollte lebenslänglich leben!“) mangelt es vor allem an einer Vorgeschichte, die seinen sozialen Abstieg greifbar macht. Etwas Gutes haben seine wirren Schimpftiraden aber doch: Angesichts der lautstarken und unfreiwillig amüsanten Aggressionen dürfte so mancher eingenickte Zuschauer wieder aufschrecken.


Freitod steht nämlich über weite Strecken exemplarisch für die enttäuschenden Luzerner Folgen der letzten Jahre: Die Ermittlungsarbeit wirkt so hölzern wie in keiner zweiten Tatort-Stadt, und den Kommissaren ist die Dynamik nach dem starken Ihr werdet gerichtet endgültig wieder abhanden gekommen. Die 993. Tatort-Ausgabe plätschert lange behäbig vor sich hin, und auch der Mini-Flirt von Praktikant Vikinesh Jeyanantham (Kay Kysela, in Kleine Prinzen noch in einer anderen Rolle zu sehen) und Gerichtsmedizinerin Corinna Haas (Fabienne Hadorn) verpufft als müde Randnotiz.

Zumindest der von Regisseurin Sabine Boss (Hanglage mit Aussicht) spannend inszenierte Showdown entschädigt für die vorherigen Längen, und auch die Auflösung ist kein Kinderspiel: Mit den ehrenamtlichen Transitus-Mitarbeitern Jonas Sauber (Sebastian Krähenbühl, Zwischen zwei Welten) und Nadine Camenisch (Anna Schinz, bis Geburtstagskind in Luzern viermal in einer Nebenrolle als Brigit Bürki zu sehen), dem auf eine Organspende wartenden Dialysepatienten Mike Zumbrunn (Lukas Kubik) und dem aalglatten Pro Vita-Chef Josef Thommen (Martin Rapold, Der Polizistinnenmörder) gibt es schließlich gleich vier erstzunehmende Verdächtige.

Bewertung: 4/10


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