Folge: 1000 | 13. November 2016 | Sender: NDR | Regie: Alexander Adolph
Bild: NDR/Meyerbroeker |
So war der Tatort:
Würdig.
Denn fast genau 46 Jahre nach der ersten Ausgabe der erfolgreichsten deutschen Krimireihe feiert diese ihr großes Jubiläum: Taxi nach Leipzig ist nicht nur ein herausragender Thriller, sondern – zumindest nach offizieller Zählweise – die 1000. Tatort-Folge und trägt denselben Titel wie die erste mit dem knorrigen Hamburger Hauptkommissar Paul Trimmel (Walter Richter), der sich 1970 in die DDR aufmachte und dort eine Fahrt im Taxi nach Leipzig absolvierte.
Auch den gleichnamigen Jubiläumskrimi von 2016 kennzeichnen eine lange Autofahrt und (bundes-)länderübergreifende Ermittlungsarbeit: Tingelte Trimmel seinerzeit über die ehemalige innerdeutsche Grenze nach West-Berlin und Leipzig, fahren die in Kiel und Hannover beheimateten NDR-Kommissare Klaus Borowski (Axel Milberg) und Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) aus der Nähe von Braunschweig gen Sachsen. Besser gesagt: Sie werden gefahren – von einem kaltblütigen Mörder.
Am Steuer des Taxis, das Borowski, Lindholm und ihr älterer Kollege Sören Affeld (Hans Uwe Bauer, Großer schwarzer Vogel) nach Ende des zähen Tagesprogramms einer gemeinsamen Fortbildung besteigen, sitzt mit dem psychisch labilen Ex-Elitesoldaten Rainald Klapproth (Florian Bartholomäi, Weihnachtsgeld) eine fleischgewordene tickende Zeitbombe, die Affeld im Affekt das Genick bricht und die beiden Kommissare als Geiseln nimmt. Der traumatisierte Afghanistan-Rückkehrer hat nur noch eines im Kopf: Nach Leipzig fahren und seiner Ex-Freundin Nicki Lowkow (Luise Heyer) sagen, dass deren Verlobter Erik Tillmann (Trystan W. Pütter) bei einem Einsatz einen Befehl gegeben hat, bei dem Klapproth unschuldige Zivilisten töten musste.
In bester Cosmopolis-Manier spielt der Großteil des Films im Inneren des Autos: Borowski und Lindholm versuchen sich an billigen Psychotricks und scheitern damit kläglich, was einige gekonnt platzierte Lacher generiert.
LINDHOLM:
Wieviele Amokläufe haben Sie denn schon erlebt?
BOROWSKI:Ich habe eine Dokumentation gesehen.
LINDHOLM:
Ach ja? Welche?
BOROWSKI:Die auf Arte.
Dass die Jubiläumsfolge nicht nur dem Stammpublikum großen Spaß macht, liegt neben dem Verzicht auf das erzählerisch einengende Whodunit-Prinzip auch an der steilen Spannungskurve: Regisseur und Drehbuchautor Alexander Adolph, der unter anderem die Tatort-Hochkaräter Der oide Depp und Der tiefe Schlaf konzipierte, stellt erneut sein Ausnahmekönnen unter Beweis und inszeniert mit Taxi nach Leipzig einen packenden Psychothriller, der neben Spannung und Witz auch Kult, Klasse und Herz mitbringt.
Die Parallelen zu Martin Scorseses Meisterwerk Taxi Driver sind nicht zu übersehen: Ähnlich wie Ex-Marine Travis Bickle (Robert DeNiro) lässt Klapproth den Zuschauer an seiner Wut teilhaben und sich selbst zu einer Bluttat hinreißen. Als es die Ermittler nach dem ersten (aber nicht einzigen) Wendepunkt der Geschichte mit Wölfen zu tun bekommen (ein toller Verweis auf den Meilenstein Borowski und das Mädchen im Moor), darf das Publikum auch in die Gedankenwelt von Borowski und Lindholm hineinhören.
Verfeinert mit Italo-Western-Zitaten, atmosphärisch starken Horror-Anleihen und einem finsteren Soundtrack jagt ein Gänsehautmoment den nächsten: Der Mittelteil der 1000. Tatort-Folge gehört zum Spannendsten, was es bis dato in der Krimireihe zu sehen gab und mündet in ein dramatisches Finale, in dem die Filmemacher keine Kompromisse eingehen.
Neben Filmemacher Adolph glänzt auch der Rest des erfolgserprobten Personals: Während Maria Furtwängler im Tatort für Quote und Axel Milberg für Qualität steht, mimte der erneut hervorragende Florian Bartholomäi unter anderem den Mörder der Familie des Dortmunder Kollegen Peter Faber (Jörg Hartmann) in Auf ewig Dein.
Etwas enttäuschend sind allerdings die Cameo-Auftritte von Karin Anselm (verkörperte in den 80er Jahren die zweite weibliche Tatort-Kommissarin Hanne Wiegand), Hans Peter Hallwachs (spielte in Taxi nach Leipzig einst DDR-Oberleutnant Klaus) und Friedhelm Werremeier (Erfinder der Tatort-Folgen mit Hauptkommissar Trimmel), denen nicht einmal Text zugestanden wird. Ganz anders Günter Lamprecht, der ebenfalls im 1. Tatort zu sehen war und in den 90er Jahren als Hauptkommissar Franz Markowitz in Berlin ermittelte: Lamprecht darf die letzten Worte sprechen und bringt die großartige Jubiläumsfolge damit zu einem rührenden Abschluss.
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