Folge: 1002 | 4. Dezember 2016 | Sender: SWR | Regie: Aelrun Goette
Bild: SWR/Patrick Pfeiffer |
So war der Tatort:
Poetisch.
„Das Leben ist flüchtig, flatterhaft, empfindlich. Eine ganz schöne Zicke ist das Leben. Alle wollen doch nur das Leben spüren, dieses kleine Luder“, ertönen die weisen Worte aus dem Off, bevor Hauptkommissarin Klara Blum (Eva Mattes) und ihr Kollege Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) die Krimireihe für immer verlassen – es ist nur eine von vielen poetischen Sequenzen in diesem von sanfter Melancholie durchzogenen, philosophisch angehauchten Abschiedsfall aus Konstanz.
Wofür es sich zu leben lohnt – das ist die Frage, der sich auch Blum nach vierzehn Tatort-Jahren stellen muss: Ihr Herz macht nicht mehr mit, und so soll die Suche nach dem Mörder des ermordeten Rechtspopulisten Josef Krist (Thomas Loibl, Mord in der ersten Liga), der auf der Schweizer Seite des Bodensees in einem kleinen Ruderboot ans Ufer gespült wird, ihre letzte bleiben. Auch Major Matteo Lüthi (Roland Koch) darf nach seinen bisherigen drei Einsätzen ein letztes Mal mitspielen: In seinem Kanton wurde ein windiger Anlageberater ermordet, und schnell wird klar, dass die beiden Fälle miteinander verknüpft sind.
Regisseurin Aelrun Goette (Der glückliche Tod), die gemeinsam mit Sathyan Ramesh auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, setzt auf das gewohnte Whodunit-Prinzip, nimmt es mit den ungeschriebenen Gesetzen der Krimireihe aber nicht allzu genau: Wofür es sich zu leben lohnt ist ein bewusst überhöhter, faszinierender Tatort, der als Auseinandersetzung mit elementaren Fragen unseres Daseins genauso gut funktioniert wie als Krimi.
Am Ende der Straße, in einem Haus am See, endet der Kriminalfall und beginnt das Leben – denn dort wohnen die drei weisen Damen Catharina (Hanna Schygulla), Margarethe (Margit Carstensen) und Isolde (Irm Hermann, Gesang der toten Dinge), die Blum den Weg weisen möchten und den eigenen Frieden längst gefunden haben.
BLUM:
Wo waren Sie gestern Abend?
MARGARETHE:Na hier? Wo sonst? Das da draußen ist doch nicht mehr unsere Welt.
Mit den drei älteren Frauen trifft Blum auf Schwestern im Geiste, die ihr schon nach wenigen Sätzen näher zu sein scheinen, als es Perlmann in zwölf gemeinsamen Dienstjahren je war.
Schygulla, Hermann und Carstensen haben sichtbar Spaß an ihren überzeichneten Rollen und mausern sich mit köstlichen One-Linern und augenzwinkerndem Spiel zu den heimlichen Publikumslieblingen im 1002. Tatort: Allein das Zusammenspiel der früheren Fassbinder-Schauspielerinnen, zu denen bekanntlich auch Eva Mattes zählt, ist das Einschalten wert und macht die eher flache Spannungskurve mehr als wett. Man muss kein Prophet sein, um früh vorauszusehen, dass der Weg zur Auflösung nur über die Villa am See führt – was genau sich zugetragen hat, halten die Filmemacher aber bis in die Schlussminuten offen.
Deutlich zu kurz kommen allerdings die parallel laufenden Ermittlungen auf der anderen Seite des Bodensees: Außer einem kurzen Hausbesuch bei einer im Kill Bill-Stil gekleideten Millionenerbin (Sarah Hostettler, Schwanensee) bringen Lüthi und seine Kollegin Eva Glogger (Isabelle Barth) nicht viel zustande – stattdessen ist der Schweizer Major oft mit Perlmann unterwegs, denn Blum ist in erster Linie mit sich selbst beschäftigt. Das Männerduo harmoniert prächtig und bringt nicht nur bei den Verhören von Krist-Witwe Anna (Julia Jäger, Narben) und Krist-Tochter Marie (Paula Knüpling) die nötige Dynamik ins Geschehen – und so stellt sich am Ende die Frage, ob man die beiden nicht schon früher gemeinsam auf Täterfang hätte schicken sollen, statt Lüthi im zähen Historienkrimi Chatêau Mort bei Kerzenschein und Rotwein mit Blum anbandeln zu lassen.
Begleitet von den Klängen klassischer Musik, gekonnt inszeniert und spürbar von Hannibal inspiriert, entlädt sich der poetische Diskurs über die Sünden, Rückschläge und Sinnhaftigkeiten im Leben schließlich in einem überraschend harten Schlussakkord, wie man sich ihn in den oft seichten Tatort-Folgen aus Konstanz gewünscht hätte: Schwachen Folgen wie Todesspiel, Letzte Tage oder Winternebel stehen rückblickend neben viel Mittelmaß auch tolle Beiträge wie Der Polizistinnenmörder, Herz aus Eis oder Rebecca gegenüber.
„In der Provinz liegt das wahre Grauen. Wenn wir versucht haben, einen auf städtisch zu machen, ging das meistens in die Hose“, ließ Sebastian Bezzel in unserem Interview zum Film selbstkritisch durchblicken – Wofür es sich zu leben lohnt passt in keine der beiden Schubladen. Und auch in keine andere.
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