Folge 1024
11. Juni 2017
Sender: MDR
Regie: Gregor Schnitzler
Drehbuch: Richard Kropf
So war der Tatort:
Online.
Denn schon der Auftaktmord in Level X macht deutlich, was den Zuschauer in den folgenden eineinhalb Stunden erwartet: Der populäre Prankster Robin „Simson“ Kahle (Merlin Rose) wird nach einem live ins Netz gestreamten Scherz von einer Rockergruppe durch die Dresdner Altstadt gejagt – und kurz darauf nicht nur vor den Augen seiner verdutzten Verfolger, sondern auch vor den Augen tausender Zuschauer in den sozialen Netzwerken von einem Unbekannten erschossen.
Schon zu diesem frühen Zeitpunkt werden Live-Tweets, Avatare und Nicknames der jungen Simson-Follower ins Bild montiert: Regisseur Gregor Schnitzler (Der treue Roy) und Drehbuchautor Richard Kropf erzählen in Zeiten von Julien Bam und des live auf Facebook gestreamten Mordes eines US-Amerikaners eine moderne und im Ansatz vielversprechende Geschichte, doch sie tragen bei der Umsetzung häufig viel zu dick auf.
Das offenbart sich zum Beispiel dann, wenn parallel zum Live-Stream die Offline-Reaktionen der gebannten Zuschauer eingefangen werden: Stadtbusse und beliebte Touri-Plätze scheinen in Dresden ausnahmslos von aufgeregten Teenagern mit Smartphones bevölkert zu sein, denn andere Personen sind in diesen Szenen schlichtweg nicht im Bild.
Der nähere Blick auf die Figuren offenbart dann Klischees und Stereotypen an allen Ecken und Enden: Die Hauptkommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Henni Sieland (Alwara Höfels) bekommen es unter anderem mit dem bis ins Karikatureske, aber leider nicht ironisch überzeichneten Online-Unternehmer Magnus Cord (Daniel Wagner, Die Kunst des Krieges) zu tun, der den ermordeten Prankster zum Ärger von dessen Vater Raimund Kahle (Jörg Bundschuh) erfolgreich vermarktet hatte und bei den Befragungen pausenlos mit dämlichen Business-Anglizismen aus allen Rohren schießt.
Während Cord sich früh als nervtötendste Figur der jüngeren Tatort-Geschichte entpuppt, sind seine ultrakreativen junge Mitarbeiter („Alle Talents, wir sind ein Open Space.“) allesamt blasse Nerds oder Vollbart zum Zopf tragende Hipster, die in den Couchmöbeln der futuristischen Büroräume rumlümmeln und ihre Smartphones nur im Notfall aus der Hand legen. Auch Wilson Gonzalez Ochsenknecht (Der Wüstensohn) bleibt bei seiner zweiten Tatort-Rolle als Prankster „Scoopy“ ein lebloses Abziehbild.
Der tiefe Griff in die Klischeekiste ist nicht die einzige Parallele zum schwachen Tatort Echolot, der beim Publikum (und auch bei uns) sang- und klanglos durchfiel: Wie der Bremer Fadenkreuzkrimi mit Lürsen und Stedefreund knüpft auch Level X an das Motto einer ARD-Themenwoche an – 2017 heißt es „Woran glaubst du?“. Dieses thematische Korsett erweist sich erneut als Reinfall: Der 1024. Tatort ist zweifellos ein flotter und stylish inszenierter Krimi, doch die hippe Verpackung kann die klischeebeladenen Figuren und die Drehbuchschwächen nicht übertünchen.
Dass mit Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) ein waschechter Online-Allergiker zum Team zählt, der mit seinen Sprüchen („Ich hab dieses verdammte Internet im Verdacht!“) schon im durchwachsenen Debüt Auf einen Schlag für Lacher sorgte, kommt den Filmemachern nämlich sehr gelegen: Schnabel muss bei seinem dritten Auftritt ausschließlich dafür herhalten, in der Welt der Hashtags und Live-Pranks nur Bahnhof zu verstehen. Spätestens, als der verheiratete Chef vom IT-Kollegen Ingo Mommsen (Leon Ullrich) beim Surfen auf einer Datingseite ertappt wird, ist dieser Gag auserzählt. Anders als Gorniak und Sieland, die mit der Trennung von ihrem Freund Ole Herzog (Franz Hartwig) zu kämpfen hat, scheint sich Schnabel als Figur schon beim dritten Auftritt nicht mehr weiterzuentwickeln.
So lebt Level X weniger von der dünnen Kritik am Hype um junge Internet-Stars, dem zum Leidwesen der als Pfarrerin tätigen Eva Kohn (Karina Plachetka, Verfolgt) auch deren Tochter Emilia (Caroline Hartig) verfällt, sondern allein von der Suche nach der Auflösung, die in der obligatorischen Verfolgungsjagd gipfelt. Trotz des spannenden Showdowns überwiegen aber die Schwächen, zu denen auch das seltsam uninspiriert eingeflochtene Lokalkolorit zählt: Wie in einem älteren James Bond-Film wurde mit bemerkenswerter Häufigkeit vor Postkarten-Motiven gedreht – sogar das Fußballstadion von Dynamo Dresden wurde als Kulisse für einen komplett überflüssigen Handlungsschlenker noch mit der Brechstange in den Plot gehämmert.
Bewertung: 3/10
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