Folge: 1035 | 12. November 2017 | Sender: MDR | Regie: Franziska Meletzky
Bild: MDR/Wiedemann & Berg/Gordon Muehle |
So war der Tatort:
Digital nachbearbeitet.
Denn seinen ersten Aufreger hatte der Tatort Auge um Auge schon vor seiner TV-Premiere: Der taz war bei der Vorabsichtung des Krimis aufgefallen, dass in einer Filmsequenz drei PEGIDA-Anhänger einen lebensmüden Rollstuhlfahrer vor dem Unfalltod bewahren. Dessen Kommentar („Ich dachte, wenn ihr jetzt das Volk seid, dann hau ich ab!“) war dem Schnitt zum Opfer gefallen – und so rückten die rechten Retter in ein positiveres Licht, als es dem MDR lieb war. Der Sender ließ die Szene nachbearbeiten: Ein Aufnäher mit der Wirmer-Flagge und Sprüche wie „Verkohlt! Geschrödert! Ausgemerkelt!“ wurden digital von den Shirts der Islamfeinde entfernt und die politische Note so eliminiert.
Sie wäre aber bei weitem nicht die einzige Anspielung auf die „besorgten Bürger“ Dresdens und die Flüchtlingskrise gewesen: Regisseurin Franziska Meletzky (Die fette Hoppe) und die Drehbuchautoren Peter Probst (Totenstille) und Ralf Husmann (Der König der Gosse) ironisieren ein im Tatort schon sehr häufig erzähltes Thema (zuletzt in Am Ende geht man nackt und Wacht am Rhein), überzeugen damit aber ebenso wenig wie mit dem enttäuschenden Kriminalfall um die zweifelhafte Zahlungsmoral des fiktiven Versicherungskonzerns ALVA.
In dessen gläserner Zentrale finden Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) und die Oberkommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Henni Sieland (Alwara Höfels) die Leiche des erschossenen Abteilungsleiters Heiko Gebhardt (Alexander Schubert, Allmächtig): Sein Tod ist der Anlass für die drei, sich unter den Mitarbeitern des Versicherers und unter dessen Kunden umzuhören, die aufgrund der ausbleibenden Zahlungen gar nicht gut auf die ALVA zu sprechen sind. Was nicht heißt, dass Polizisten bei dem tatverdächtigen Fabian Rossbach (Sascha Göpel, Unter uns) willkommener wären:
ROSSBACH:
Was ich in meiner Freizeit mache, das ist Privatsache. Das geht die Versicherung nichts an und die Bullen auch nicht! Ähem, die Polizei auch nicht!
SCHNABEL:Wenn was passiert ist, geht uns alles was an. Deswegen sind wir auch keine Bullen, sondern Schweine. Schweine stecken ihre Nase auch überall rein. Auch in den größten Mist.
Die politische Debatte wird im 1035. Tatort direkt ins Präsidium verlagert: Sieland schimpft über Schnabel, weil ihr latent ausländerfeindlicher Chef gedanklich noch im letzten Jahrtausend steckt, und Schnabel schimpft über Sieland, weil die sich auf seine Kosten für Flüchtlinge engagiert.
„Ich mache mir massiv Sorgen um die Stadt und die Zustände hier“, wettert der Stromberg-Verschnitt unverhohlen gegen Einwanderer – fast so, als würden sich Geflüchtete, Gutmenschen und Neonazis direkt vor seinem Bürofenster die Köpfe einschlagen. Die Kommissarinnen versuchen es statt mit Dramatisierung mit Humor: „Soweit ist es gekommen, du! Jetzt versauen die Türken den Deutschen schon ihre Alibis“, witzelt Gorniak beim Abgleich einer Aussage des ebenfalls tatverdächtigen Gebhardt-Kollegen Rainer Ellgast (Arnd Klawitter, Fegefeuer) – der Sprengkraft dieses Reizthemas, das erheblich zum AfD-Erfolg bei der Bundestagswahl 2017 beigetragen hat, werden diese dünnen Witzchen aber kaum gerecht.
Statt der deutlich reizvolleren, aber oberflächlich abgefrühstückten Geschichte um die Profitgier des Versicherers und dem Kampf der abgezockten Opfer mehr Tiefgang zu verleihen, verheddern sich die Filmemacher recht unbeholfen in einem ironisch angehauchten Mischmasch aus platter Schwarz-Weiß-Malerei, ermüdenden Grabenkämpfen im Präsidium und einer herbeigeredeten Beziehungskrise: Spätestens, als Sieland mit ihrem Ex-Ex-Freund Ole Herzog (Franz Hartwig) am Telefon über Couscous und Küsse philosophiert, ist der Bogen hier deutlich überspannt.
Auch im Hinblick auf das Schicksal von Rollstuhlfahrer Harald Böhlert (Peter Schneider), seiner Frau Ines (Marie Leuenberger) und der radikalen Aktivistin Martina Scheuring (Henny Reents) kommt Auge um Auge über seine guten Ansätze nicht hinaus. Spannung will selten aufkommen, denn dramaturgisch liegt einiges im Argen: Dass die Auflösung der Whodunit-Konstruktion so knifflig ausfällt, liegt in erster Linie daran, dass der Zuschauer den fix aus dem Hut gezauberten Täter erst in den Schlussminuten wirklich kennenlernt – und einem Faktencheck würden dessen Behauptungen angesichts dieser GDV-Zahlen auch kaum standhalten.
Dass die Ermittlerinnen so spät auf die richtige Spur gelangen, wirkt ebenfalls konstruiert: Hätten sich Gorniak und Sieland bei ihren Besuchen im ALVA-Konzern etwas mehr Zeit für die Details genommen, statt sich im Präsidium in bemühten One-Linern und zwischenmenschlichen Bankrotterklärungen zu verlieren, wäre der Fall wohl schon nach einer halben Stunde gelöst gewesen.
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