Folge: 1038 | 10. Dezember 2017 | Sender: rbb | Regie: Florian Baxmeyer
Bild: rbb/Gordon Muehle |
So war der Tatort:
Very Berlin. Denn man kann leicht den Überblick verlieren in einer Stadt, in der so viele Fäden zusammenlaufen, und in der alles ständig in Bewegung ist.
Berlin liefert damit die ästhetische Vorlage für diesen Großstadtkrimi: Die Kamera springt auf Züge auf und fängt in interessanten Einstellungen die komplexe Dynamik der Akteure ein. Regisseur Florian Baxmeyer (Zurück ins Licht) setzt die Hauptstadt als düsteres, raues Pflaster in Szene, in deren klaustrophobischer Unterwelt jemand heimlich nach seiner eigenen bizarren Weltordnung lebt. Dabei schaut man Werner Lothar (stark: Christoph Bach, LU), dem eigenbrötlerischen Schlüsseldienstbetreiber vom Alexanderplatz, gerne ins irre Gesicht, überkontrolliert bis in die Schnurrbartspitzen, immer kurz vor der Explosion. Wer zieht in seiner Realität die Fäden?
Prägnante Schnitte und der harte verbale Schlagabtausch zwischen den Hauptkommissaren Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke), die im schnellen Wechsel miteinander spielen und, ja, auch schießen, liefern einen atmosphärisch dicht erzählten und temporeichen Psychothriller mit klassischen Krimimotiven.
Die Ermittler, ein „Magnet für Horrorleichen“, untersuchen diesmal die verkohlten Überreste eines Mordopfers, die stilecht in einem weißen Lieferwagen liegen. Die sterile Kinderwunschklinik des lesbischen Paares Dr. Iris Wohlleben (Almut Zilcher) und Hanneke Tietzsche (Eleonore Weisgerber, Echolot), die die Verbindung zwischen dem Toten und früheren Mordfällen zu sein scheint, bildet einen weiteren dystopischen Gegenpol in einer Welt voller Ambivalenzen.
Kommissarsanwärterin Anna Feil (Carolyn Genzkow) ahnt zunächst nicht, dass sie in einem dieser Paralleluniversen eine Hauptrolle spielt. Schon bald aber dringt Lothar, der auch auf den titelgebenden Decknamen Harbinger hört, durch einen Trick in ihr Privatleben ein: Diese hochspannende Sequenz weckt sofort Assoziationen zum Kieler Tatort Borowski und der stille Gast, in dem sich Serienmörder Kai Korthals (Lars Eidinger) 2012 als Paketbote in die Wohnungen seiner Opfer schlich.
FEIL:Was meinst du mit HINTER MIR?
Dein Name sei Harbinger hätte ein Highlight der Krimireihe werden können – einzig die Story, die zunächst gut aufgebaut wird, wirkt gegen Ende etwas überfrachtet. Die Geschichten durchkreuzen sich und schon bald wird klar: Die Ärztinnen haben mit unlauteren Methoden in das Leben ihrer Patientinnen eingegriffen.
Leider gelingt es den Drehbuchautoren Michael Comtesse und Matthias Tuchmann (Nachtsicht) nicht ganz, die beiden Handlungsstränge reibungslos miteinander zu verbinden, vielmehr bedienen sie sich recht unkritisch Reproduktionsmythen rund um gleichgeschlechtliche Familien und deren Elternschaft. Das ist ein bisschen letztes Jahrhundert und schmälert den ansonsten hohen Unterhaltungswert: Meret Becker gibt in der 1038. Tatort-Ausgabe gekonnt die Berlin-Bitch, die die Faust in der Bomberjacke ballt und keinen Bock mehr darauf hat, dass ihr ihr Sohn Tolja (Jonas Hämmerle) und der Rest der nach Straubing gezogenen Familie auf der Nase rumtanzen. Ihre Figur bewegt sich konstant zwischen Verletzlichkeit und Härte und wirkt dabei so authentisch, als träfe man sie an der nächsten Berliner U-Bahn-Station wirklich.
Auch die zunächst schüchterne Feil wird in ihrer Coming-of-Age-Geschichte von Extremsituationen geschüttelt und spielt das eiskalte Spiel am Ende mit – teilt aus, verletzt, bleibt cool und brutal (mehr zu Rubins Vorbildfunktion und Feils Gefühlswelt verriet uns Carolyn Genzkow im Interview).
Mit dem Berliner Ermittlerteam hat die Hauptstadt seit Das Muli endlich würdige Repräsentanten, die den Geist der Metropole, immer eine Ecke schneller und krasser zu sein, hervorragend transportieren. Die Schauspieler zeigen sich als Symptomträger für einen hektischen, ein bisschen gruseligen, aber auch wahnsinnig faszinierenden und vielfältigen Ort, seinem Leben mit all den Falltüren und Parallelwelten darin. Dabei machen gerade die konsequent durchgezogenen Widersprüche die Charaktere aus: Während andere Tatort-Kommissare nach Feierabend über ihr Dasein jammern oder ihre Katze streicheln, qualmt Rubin wahrscheinlich irgendwo im Regen ihre Zigarette danach.
Und Karow? Der Bad Ass mit dem Ego vom Alex bis zum Hermannplatz lässt sich so richtig durch den Kakao (bzw. die Salzlauge) ziehen und diesmal zu gewagten Fessel- und Psychospielchen hinreißen. Rubin findet das „Auch’n bisschen geil, oder?“
Auf jeden.
Schreibe einen Kommentar