Folge: 1063 | 5. August 2018 | Sender: SRF | Regie: Dany Levy
Bild: SRF/Hugofilm |
So war der Tatort:
Frei von jedem (sichtbaren) Schnitt.
Und damit ist der heimliche Star im 13. Tatort mit den Luzerner Hauptkommissaren Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) Kameramann Filip Zumbrunn: Der Schweizer Filmemacher, der anders als Regisseur Dany Levy (Schmutziger Donnerstag) zum ersten Mal für die Krimireihe am Ruder sitzt, hat die Handlung in einer einzigen Einstellung gedreht, wie wir es aus Sebastian Schippers Drama Victoria, Alejandro González Iñárritus Oscar-Gewinner Birdman oder Alfred Hitchcocks Kammerspiel Cocktail für eine Leiche kennen.
Angesichts der großen Abendveranstaltung im Kultur und Kongresszentrum Luzern (KKL), bei der Flückiger und Ritschard live ermitteln, ergeben sich auch Parallelen zum spektakulären Establishing Shot in Brian De Palmas Thriller Spiel auf Zeit – eine visuell außergewöhnliche Krimi-Erfahrung, wie man sie im Tatort bis dato noch nicht zu sehen bekommen hat.
Der schwerreiche Unternehmer Walter Loving (charismatisch: Hans Hollmann) hat das Jewish Chamber Orchestra für ein feierliches Charity-Event engagiert, bei dem die jüdische Pianistin Miriam Goldstein (Teresa Harder, Letzte Tage) ein Geheimnis lüften möchte – doch als ihr Bruder Vincent (Patrick Elias, Die Frau im Zug), der im Orchester die Klarinette spielt, vergiftet wird und um sein Leben ringt, ruft das zunächst Ritschard auf den Plan, die zufällig vor Ort ist und Flückiger herbeizitiert.
Neben der spannenden Echtzeit-Jagd auf den Täter eröffnen die Filmemacher auch eine ironisch angehauchte Meta-Ebene – und zwar in Person von Lovings schnöselig-arrogantem Sohn Franky (Andri Schenardi, Schmutziger Donnerstag), der immer wieder zum Zuschauer in die Kamera spricht und das turbulente Tatort-Experiment süffisant kommentiert.
LOVING:Ende gut, alles gut. Ein bisschen kürzer als andere Tatorte, aber immer noch okay.
Dieses Durchbrechen der vierten Wand ist nicht die einzige Parallele, die sich zum Wiesbadener Meisterwerk Im Schmerz geboren ergibt: Wie in der mit dutzenden Zitaten und popkulturellen Anspielungen durchsetzten Shakespeare-Italo-Western-Krimi-Oper von 2014 gibt es auch in Die Musik stirbt zuletzt eine elegant eingeflochtene Südamerika-Rückblende zu sehen und reichlich klassische Musik zu hören.
Blieben beim Krimi mit Felix Murot (Ulrich Tukur) neben den herausragenden Schauspielern vor allem der fantastische Soundtrack des HR-Sinfonieorchesters, die tolle Regie und das geniale Drehbuch in Erinnerung, so ist es im 1063. Tatort eindeutig der schnittfreie Ritt durchs KKL, auf den die Kamera den Zuschauer mitnimmt und dabei spielerisch temporeiche Verfolgungsjagden, Dialogsequenzen vor großen Spiegeln und weitere Herausforderungen meistert.
Rein handwerklich spielt Luzern (anders als sein Fußballclub, dessen blaues Fan-Shirt Flückiger stolz durch den Krimi trägt) damit in der Champions League – wem die wackelige Ästhetik und das unübersichtliche Setting zu anstrengend ist oder wem der Bruch mit den gewohnten Erzählmustern übel aufstößt, wird am Film aber nur wenig Freude finden.
Weil die Auflösung bis in die Schlussminuten ungeklärt bleibt und auch die Besetzung über jeden Zweifel erhaben ist, kommen experimentierscheue Zuschauer aber zumindest ein Stück weit auf ihre Kosten: Der grandios aufspielende Hans Hollmann wächst in der anspruchsvollen Rolle als wohlhabender Stiftungseigner mit unklarer Vergangenheit über sich hinaus und auch Sibylle Canonica (Das Recht, sich zu sorgen), die 2011 im hochspannenden Kieler Tatort Borowski und die Frau am Fenster als eiskalte Mörderin brillierte, liefert als Ex-Gattin Alice Loving-Orelli eine starke Performance ab.
Ein großes Kompliment gebührt auch den vielen Nebenschauspielern, Statisten und helfenden Händen bei den Dreharbeiten: Wie bei einer Theateraufführung wurde Die Musik stirbt zuletzt an nur vier Abenden ohne jede Unterbrechung abgedreht – eine Meisterleistung an Logistik und Improvisation, von der im besten Schweizer Tatort aller Zeiten anders als in den krachend gescheiterten Ludwigshafener Impro-Experimenten Babbeldasch und Waldlust so gut wie nichts zu spüren ist.
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