Folge 1084
17. Februar 2019
Sender: HR
Regie: Dietrich Brüggemann
Drehbuch: Dietrich Brüggemann
So war der Tatort:
Gefangen in einer Zeitschleife.
Denn der hessische LKA-Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur) muss in Murot und das Murmeltier fast dasselbe durchmachen wie Wettermoderator Phil Connors (Bill Murray) im 90er-Jahre-Klassiker Groundhog Day: Er durchlebt ein und denselben Tag immer und immer wieder.
Dabei sieht auch in Wiesbaden zunächst alles nach einem Routineeinsatz aus: Magda Wächter (Barbara Philipp) klingelt ihren Chef aus dem Bett und zitiert ihn zu einer Filiale der Taunusbank, in der sich der Geiselnehmer Stefan Gieseking (Christian Ehrich, Sturm) mit seiner Freundin Nadja Eschenbach (Nadine Dubois), einer Waffe und einigen Bankangestellten vor den Ordnungshütern verschanzt hat.
Ein Alleingang Murots nach kurzer Abstimmung mit den Kollegen schlägt jedoch fehl: Eschenbach erschießt Gieseking, den Kommissar und sich selbst – doch statt zu sterben, liegt der LKA-Ermittler plötzlich wieder im Bett und das Handy klingelt erneut. Wächter bittet ihn ein zweites Mal zum genannten Einsatzort in Wiesbaden – es ist der zweite von insgesamt zwölf Anläufen, die Murot benötigt, um seinen siebten Fall zu einem Abschluss zu bringen.
Jedes Mal, wenn er stirbt, beginnt das Spiel von neuem – und dem cleveren Kommissar dämmert bald, dass das Ganze auch Vorteile bringt und er die vermeintlich endlose Zeitschleife zu seinem Vorteil nutzen kann.
Regisseur und Drehbuchautor Dietrich Brüggemann, der auch für die stimmungsvolle Musik des HR-Sinfonieorchesters verantwortlich zeichnet, stellt nach seinem tollen Stuttgarter Tatort Stau mit Murot und das Murmeltier ein zweites Mal eindrucksvoll unter Beweis, wieviel sich aus dem Format am Sonntagabend herausholen lässt, wenn nur die richtigen Redakteure, Filmemacher und Schauspieler am Ruder sitzen und alle die nötige Portion Mut für das Außergewöhnliche mitbringen.
Nicht von ungefähr wurde die grandios arrangierte Krimikomödie auf dem Festival des deutschen Films 2018 für eben diesen Mut mit dem Filmkunstpreis ausgezeichnet und später für den Deutschen Fernsehpreis nominiert, denn mit einem Tatort der alten Schule hat die 1084. Ausgabe der Krimireihe wenig zu tun: Wer auf einen Whodunit mit obligatorischer Auftaktleiche, SpuSi-Erkenntnissen, Verdächtigenbefragungen und einer möglichst verblüffenden Auflösung gehofft hat, wird sich vorkommen wie im falschen Film.
Statt bloß die üblichen Stationen bei Gerichtsmediziner & Co. abzuklappern, begegnet Murot – so wie auch der Protagonist im eingangs erwähnten Hollywood-Klassiker – Tag für Tag denselben Leuten: der top-motivierten Joggerin (Katharina Schlothauer) aus der Wohnung nebenan, dem übergewichtigen Nachbarn (Daniel Zillmann, Niedere Instinkte) mit der zu lauten Musik, einer jungen Mutter (Anna Brüggemann, Land in dieser Zeit) mit ihrem Sohn und schließlich der Scheibenputzerin (Desiree Klaeukens) auf dem Weg zum Einsatzort – doch jedes Mal gestaltet sich die Begegnung ein klein wenig anders.
Statt das spaßige Erfolgsrezept aus Groundhog Day aber lediglich zu kopieren, setzt Brüggemann eigene Akzente: Mit dem überraschend gleichgültigen Geiselnehmer Gieseking gibt es neben Murot eine zweite Person, die in der nervenraubenden Zeitschleife gefangen ist – und weil die Geschichte durch den Tod der beiden Gegenspieler jeden Moment vorbei sein kann, erhöht das den Überraschungseffekt ungemein. Mal dauert das Spiel zwanzig Minuten, mal nur wenige Sekunden.
Murot und das Murmeltier auf die unzähligen absurden Einfälle (Stichwort: Kettensäge), die brüllend komischen Dialoge oder die perfekt getimte Situationskomik zu reduzieren, würde der Extraklasse der großartigen Krimikomödie aber nicht ganz gerecht: Brüggemann hievt seinen Film durch die fast philosophische Selbstreflexion von Kommissar und Täter im Hinblick auf die lähmende Eintönigkeit des Lebens auf die höchste Qualitätsstufe und hält dem Einheitsbrei im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ohne Kompromisse den Spiegel vor. „Tatort, Polizeiruf, Soko, Der Alte, Der Junge – das is‘ alles dasselbe“, stimmt Sanitäter Erik (Sascha Nathan) hämisch den Abgesang an, doch möchte man in Anlehnung an ein berühmtes Game-of-Thrones-Zitat entgegnen: Not today.
Bewertung: 10/10
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