Folge: 1093 | 5. Mai 2019 | Sender: rbb | Regie: Christian von Castelberg
Bild: rbb/Stefan Erhard |
So war der Tatort:
Posttraumatisch.
Denn bereits in den ersten Minuten ereignet sich im 1093. Tatort reichlich Belastendes – Schusswaffengebrauch inklusive. Eine vermeintlich harmlose Ruhestörung im nächtlichen Kreuzberg entpuppt sich als Stich in ein Drogennest, und am Ende sitzt Tolja Rubin (Jonas Hämmerle), Sohn von Hauptkommissarin Nina Rubin (Meret Becker) und neuerdings Polizei-Azubi, zitternd im Rettungswagen. Gerade erst zurück aus Straubing, wird er beinahe von Yakut Yavas (Rauand Taleb, Der Turm), einer flüchtigen Dealerbekanntschaft früherer Tage, niedergestreckt.
Polizeimeisterin Sandra Ehlers (Anna Herrmann, Mord in der ersten Liga) hat weniger Glück und stirbt, der kurz vor der Pensionierung stehende Streifenpolizist Harald Stracke (Peter Trabner, spielt im Tatort aus Dresden Rechtsmediziner Falko Lammert) überlebt mit einem Beinschuss. Der Schütze entpuppt sich als V-Mann und die ballistische Untersuchung gibt Rätsel auf – ein bisschen viel Zufall alles.
Hauptkommissar Robert Karow (Mark Waschke) versucht sich bei der Aufarbeitung der Geschehnisse dann als Ersatzpapa für Tolja, da Rubin sich ihrem furiosen Mutterinstinkt hingibt. Nach dem ungewöhnlichen Auftakt folgt Der gute Weg aber wieder dem Muster, das wir von klassischen Whodunits kennen: Die zweite Leiche folgt nach einer Stunde und eine nachgeschobene Backstory klärt die Motivlage.
Obwohl die Schauspieler aus wirklich jedem Dialog das Maximum rausholen, hat Drehbuchautor Christoph Darnstädt (Tschiller: Off Duty) unterm Strich etwas viel auf einmal gewollt: Irgendwann bleibt man beim Konter-Ping-Pong der Hauptfiguren hängen und kann den Verwirrungen aus Strackes Vergangenheit kaum noch folgen.
Bei Karows brachialem Tonfall gegenüber Rechtsmedizinerin Nasrin Reza (letzter Auftritt: Maryam Zaree) verhält es sich ähnlich: Soll wohl cool sein, geht aber daneben.
KAROW:Muss ich noch ein Formular ausfüllen? Essen gehen, ficken, ja, nein?REZA:„Danke, schönen Tag noch“ oder „Tschüss“ würde eigentlich reichen.
Christian von Castelberg (Dunkelfeld) inszeniert Berlin als Moloch mit Gangsta-Rap-Untermalung – das verkauft sich im Jahr 2019, siehe Dogs of Berlin oder 4 Blocks, anscheinend ganz gut. Der Regisseur macht aus Der gute Weg mit aufwändigen Details wie den Andeutungen zu Parallelgesellschaften bei augenzwinkernden TV-Nachrichten über geklaute Handtaschen oder dem Hochglanz-Intro dennoch eine sehr vernünftige Folge.
Team Berlin macht einmal mehr Spaß, auch weil Meret Becker und Mark Waschke richtig freidrehen dürfen: Die beiden füllen ihre Rollen aus, wo andere nur peinlich wirken. Bestes Beispiel: Karows konsequent durchgezogene „Ich bin kein Narzisst, aber“-Akt-Pose über der Skyline der Hauptstadt.
Auch Rubin ist als eine der facettenreichsten Kommissarinnen der Krimireihe ein Genuss; keine verfolgt kompromissloser die eigenen Bedürfnisse als sie. Zum Glück hat sie seit ihrem umstrittenen Debüt in Das Muli weder ihr Party-Outfit, noch ihre jüdische Identität oder das brutal reale Verhältnis zu ihrer Familie revidiert.
Einige Nebencharaktere sind im Vergleich zu den über mehrere Folgen hinweg sorgsam aufgebauten Ermittlern leider deutlich unterkomplex. Insbesondere Verena Stracke (Nina Vorbrodt, Der Pakt) hätte ein bisschen mehr Zeichnung statt immer nur Schlaftabletten verdient. Auch Kommissarsanwärterin Anna Feil (Carolyn Genzkow) schmeißt das Backoffice zwar wieder alleine, darf aber relativ wenig sagen, während sich Kriminaltechniker Knut Jansen (Daniel Krauss) mit seinen Punchlines langsam was dazu verdienen könnte. Und die stolze Rechtsmedizinerin Reza hat endgültig die Nase voll von Karows Testoteronüberschuss und hinterlässt einen überraschend gefühligen Hauptkommissar. Nicht nur ihm wird sie fehlen.
Bleibt die leicht dysphorische Message: Alles ist irgendwie schmutzig und scheiße, und trotzdem bilden Fernsehturm, Waschbetonblöcke und Parallelwelten eine (nicht ganz klischeefreie) Einheit: ein Haifischbecken aus Gangstern, Partyvolk, Pennern und Coolness. Am Ende wirkt das Taxi Driver-Image des müden Streifencops doch etwas aufgesetzt für die im internationalen Vergleich eher beschauliche Vier-Millionen-Stadt, aber die sehnsuchtsvolle Unterweltromantik ist klar erkennbar.
Und Sehnsucht trifft das Lebensgefühl der suchenden Einwohner allemal.
Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort „Das Nest“
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