Folge: 1116 | 5. Januar 2020 | Sender: NDR | Regie: Eoin Moore
Bild: NDR/Christine Schroeder
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So war der Tatort:
Chillig. Pardon: tschillig.
Denn im sechsten Tatort mit den Hamburger LKA-Kommissaren Nick Tschiller (Til Schweiger) und Yalcin Gümer (Fahri Yardim) geht es gleich zwei Nummern weniger aufregend zu als in den Jahren zuvor: Nachdem sich die Einschaltquoten seit Willkommen in Hamburg, den 2013 noch über 12 Millionen Zuschauer sehen wollten, bis zur TV-Premiere des auch im Fernsehen gefloppten Kino-Tatorts Tschiller: Off Duty mehr als halbiert hatten, zog der NDR die Reißleine. Der Sender verpflichtete mit Regisseur und Drehbuchautor Eoin Moore (Borowski und der freie Fall) keinen Geringeren als den Erfinder des großartigen Polizeiruf 110 aus Rostock, den Til Schweiger selbst als seinen „Lieblingstatort“ bezeichnet, und beauftragte ihn mit einem weniger actionlastigen Konzept.
Auch die Nordsee-Insel Neuwerk, auf die sich der vom Dienst freigestellte Tschiller vorübergehend versetzen lässt, spiegelt als Schauplatz diesen Druck der Reset-Taste wider, denn im Vergleich zu spektakulären Actionthrillern wie dem häufig unterschätzten Tatort Fegefeuer kommt Tschill Out geradezu entschleunigend daher: Selbstreflexion im Watt statt Kugelhagel in der Hafencity, Küchenmesser statt Panzerfaust, aufmüpfige Teenager statt skrupellosem Astan-Clan.
In einer Erziehungseinrichtung unter der Leitung von Patti Schmidt (Laura Tonke, Der scheidende Schupo), die als Figur leider zu selten ein selbstbewusster Kontrapunkt zu Tschiller ist, arbeitet der LKA-Kommissar a.D. mit schwererziehbaren Jugendlichen zusammen und macht trotz seiner fehlenden pädagogischen Ausbildung bei den rabiaten Halbstarken und seiner Kollegin mächtig Eindruck.
SCHMIDT:Du bist irgendwie niedlich. Und natürlich männlich und brutal.
Denkt man an Komödien wie den Hollywood-Hit Kindergarten-Cop, hätte aus dieser realitätsfernen Ausgangslage durchaus eine witzige Nummer werden können. Doch leider ist die Geschichte bierernst gemeint und mündet trotz vieler guter Ansätze bisweilen in wahnsinnig aufgesetzte Dialoge.
Etwa dann, wenn Tschiller mit Schmidt über sein Seelenleben spricht („Du hast Recht, in mir steckt noch ganz viel Zeug fest. Gefühle und so.“) oder dem von Gümer nach Neuwerk überführten Punkrocker Tom Nix (Ben Münchow, Freies Land) vermeintlich wertvolle Tipps zur Trauerbewältigung gibt („Darf ich dir einen Rat geben? Du musst einfach versuchen, nicht dran zu denken.“). Und welche Jugendeinrichtung würde wohl statt eines abgehärteten Pädagogen oder Sozialarbeiters einen dünnhäutigen Cop einstellen, der die Leichenberge hinter sich nur so auftürmt und nicht mal mit der Erziehung seiner auswanderungswilligen Tochter Lenny (Luna Schweiger, diesmal nur per Videochat zugeschaltet) zurechtkommt?
Man muss Tschill Out keinem Realitätsabgleich unterziehen – doch selbst, wenn man sich auf das absurde Treiben vor stürmischer Nordsee-Kulisse einlässt, hält sich der Unterhaltungswert der 1116. Tatort-Folge in Grenzen. Als Kreuzung aus rührseliger Charakterstudie und temporeichem Thriller birgt der Film nämlich weitere Schwächen: Weil das Seelenleben der Jugendlichen nicht näher beleuchtet wird und das Zwischenmenschliche kaum mitreißt, generiert sich die Spannung allein aus der Frage, wann die Mörder von Toms Bruder und Bandkollegen Eddie Nix (Andreas Helgi Schmid, Schwanensee) wohl den Weg nach Neuwerk finden.
Außerdem dreht sich beim sechsten Tschiller-Fall wieder viel um den von großen Teilen der Fans so ungeliebten Ermittler, hinter der der eigentliche Kriminalfall um die illegalen Geschichte von Toms getötetem Bruder stellenweise minutenlang hintenansteht. Gleichzeitig stößt Regisseur Eoin Moore, der das Drehbuch gemeinsam mit Anika Wangard geschrieben hat, auch die Fans adrenalinschwangerer Folgen mit ordentlich Kawumm vor den Kopf: Den Actionanteil hat er drastisch reduziert und die winterlichen Wiesenpanoramen bieten nicht die schicken Schauwerte, mit der manch anderer Hamburger Tatort aufwartete.
Immerhin: Mit Spaßvogel Gümer, den Fahri Yardim wieder wunderbar schnoddrig spielt, ist zumindest der große Lichtblick im Tatort von der Waterkant wieder in Top-Form. Die dynamisch inszenierten Sequenzen mit LKA-Greenhorn Robin Pien (Zoe Moore, Der Turm) sorgen für Lacher und bringen Schwung in den Film, bergen aber auch unfreiwillige Ironie: Während sich Til Schweiger stets dem Vorwurf ausgesetzt sieht, seine Töchter nicht nur in seine Kinofilme, sondern sogar in seinen Tatort einzuschleusen, steht Schauspielerin Zoe Moore im gleichen verwandtschaftlichen Verhältnis zum Regisseur.
Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort „Das Team“
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