Folge: 1199 | 1. Mai 2022 | Sender: BR | Regie: Max Färberböck
So war der Tatort:
Trauerfixiert.
Der achte Franken-Tatort mit den Nürnberger Hauptkommissaren Felix Voss (Fabian Hinrichs), Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel), Sebastian Fleischer (Andreas Leopold Schadt) und Wanda Goldwasser (Eli Wasserscheid) richtet den Fokus nämlich auf die Hinterbliebenen – und beginnt mit einem Todesfall, der mehrere Menschen in tiefe Trauer stürzt. Die wird dann unter Regie von Max Färberböck, der gemeinsam mit Claudia Schuchmann auch das Drehbuch zu seinem vierten Franken-Tatort geschrieben hat, so intensiv aufgearbeitet wie selten.
Wir sind live dabei, wenn sich der junge IT-Spezialist Lukas Keller (Caspar Schuchmann) einleitend mit seiner Freundin Mia Bannert (Julie Engelbrecht, Hochzeitsnacht) in den Laken räkelt – ohne, dass diese ahnt, dass sie ihn in diesem Moment das letzte Mal sieht. Wir werden Zeuge, wie Kellers Mutter Marie (Valentina Sauca, Der lange Arm des Zufalls) vergeblich darauf wartet, dass ihr Sohn sie zum Abendessen besucht und verzweifelt den Notruf wählt – und wir begleiten die Kommissare zum Eigenheim von Kellers Vater Fritz (Karl Markovics, Du allein), den die Nachricht von der Ermordung seines Sohnes ebenso kalt erwischt wie seine geschiedene Gattin.
Man hat dem Opfer die Kehle durchgeschnitten und anschließend, obwohl es bereits tot auf dem Boden lag, noch brutal das Gesicht kaputtgetreten. Wie (fast) immer in der Krimireihe stellt sich damit die diesmal auch titelgebende Frage: Warum?
Stolze einundzwanzig Mal fällt das Wort „Warum“ in diesem Whydunit, der zugleich ein Whodunit ist, denn die Ermittler und Hinterbliebenen suchen natürlich nicht nur das Motiv, sondern auch den Täter. Einen Hauptverdächtigen haben sie schnell gefunden: den obdachlosen und psychisch kranken Dieter Hammert (kaum wiederzuerkennen: Ralf Bauer, im Tatort zuletzt vor über 20 Jahren in Bittere Mandeln zu sehen). Weil er einen anderen Mord ohne einleuchtendes Motiv gesteht und einfach viel zu verdächtig ist, wissen erfahrene Tatort-Zuschauer allerdings genau: Der Mann, der Voss mit seiner Gleichgültigkeit auf die Palme bringt, ist garantiert nicht der Mörder.
HAMMERT:
Er hat mich beleidigt. Da habe ich ihn umgebracht.
VOSS:
Wie?
HAMMERT:
Mit Freude.
Die 1199. Tatort-Ausgabe entfaltet in der ersten Filmhälfte eine sehr beklemmende, durchaus faszinierende Atmosphäre – doch je länger der ästhetisch ansprechende Krimi dauert, desto mehr offenbart die Geschichte ihre Schwächen. Das Phänomen, dass eine künstlerisch angehauchte Verpackung lange Zeit über eine relativ dünne Story hinwegtäuschen kann, hat es im Franken-Tatort unter Regie von Max Färberböck schon einmal gegeben: Auch Die Nacht gehört dir von 2020 begann stark und fiel dann auf der Zielgeraden mit einem erschreckend schwachen Finale in sich zusammen.
Hier liegt der Fall ähnlich, denn nach einem handfesten Teamkonflikt, der Voss sogar laut über seine Berufsaufgabe nachdenken lässt, eröffnen die Filmemacher mit dem Gebaren des Arbeitgebers des Toten eine eher lieblos zusammengeschusterte Backstory, die bis auf wenige Hotelszenen nur auf der Tonspur stattfindet. Hier fehlt es bei genauerer Betrachtung an Substanz: Die Logistikfirma von Karl-Heinz Weinhardt (Götz Otto, im Tatort ebenfalls zuletzt vor über 20 Jahren in Nahkampf zu sehen) ist in dubiose Deals mit gefälschten Pharmazeutika verstrickt – wer 1 und 1 zusammenzählen kann, wird in der Suche nach der Auflösung des Krimis keine Herausforderung finden.
Die Besetzung der Nebenrollen tut ihr Übriges, und so landet der Film am Ende nur im oberen Mittelmaß, aus dem ihn auch Voss‘ Romanze mit der geduldigen Honigverkäuferin Anja (Maja Beckmann) und der grandiose Cast nicht zu befreien vermögen: Allein die stark aufspielende Valentina Sauca und der vielfach hollywooderprobte Karl Markovics, die in der Rolle der trauernden (und rachedurstigen) Eltern bemerkenswert abliefern, sind zwar das Einschalten wert – doch was nützt das unterm Strich, wenn die Spannungskurve eher flach bleibt und das Drehbuch hinten raus so stark nachlässt.
Zumindest das fränkische Tatort-Publikum kommt in Warum aber voll auf seine Kosten: Der diesmal sehr unterwürfige und zugleich tatendurstige Sebastian Fleischer fränkelt mit SpuSi-Chef Michael Schatz (Matthias Egersdöfer) um die Wette und auch ein Nürnberger Tankwart (Nikolai Will), der den vermeintlichen Täter beim Weinkauf beobachtet haben will, legt einen denkwürdigen Kurzauftritt hin. Vor allem seine köstliche Performance („FRANKO!!!“) wird von diesem Tatort auch länger als ein paar Tage in Erinnerung bleiben.
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