Folge: 639 | 10. September 2006 | Sender: NDR | Regie: Lars Becker
Bild: NDR/Marion von der Mehden |
So war der Tatort:
Schwedisch.
Denn bei seinem siebten Einsatz für die Krimireihe ermittelt Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) nicht allein auf norddeutschem Terrain, sondern pendelt des Öfteren auf der „Scandinavica“, einer Fähre zwischen seinem eigentlichen Einsatzort Kiel und der schwedischen Hafenstadt Göteborg. Der Grund dafür ist das plötzliche Verschwinden von Hans Venske (Jan-Gregor Kremp, Frauenmorde): Er arbeitet als Kapitän auf eben jener Fähre, auf der sich einleitend zufällig auch Borowski befindet, als er gerade von einem Angelurlaub zurückkehrt und direkt zum Ansprechpartner für die besorgte Crew wird. Wie praktisch!
Die Ausgangssituation der 639. Tatort-Folge ist damit durchaus interessant – stellt sich doch zunächst die Frage, was mit dem titelgebenden Mann über Bord überhaupt geschehen sein mag. Ein schlichter Suizid? Ein ausgeklügelter Versicherungsbetrug? Oder doch ein klassischer Mord?
Verdächtige gibt es jedenfalls reichlich: Da ist allen voran der trinkfreudige Erste Offizier Björndahl (stark: Peter Haber, spielte in der schwedisch-deutschen Erfolgsserie Kommissar Beck den titelgebenden Ermittler), der mit seiner Position als Nummer Zwei auf dem Schiff unzufrieden ist und kurz vor dem Verschwinden seines Vorgesetzten Streit mit Venske hatte. Gleiches gilt für die unbekannte Frau, mit der Venske noch auf der Brücke telefonierte, um danach mit zwei Sektgläsern in seiner Kabine zu verschwinden. Dass es sich bei der geheimnisvollen Anruferin nicht, wie vom Kapitän behauptet, um Annemarie Venske (Catrin Striebeck, Atemnot) handelt, die treusorgende, aber oft alleingelassene Ehefrau, stellt diese gegenüber Borowski sichtlich verwundert klar. Und was weiß der zurückhaltende Steuermann Töre (Volker Zack Michalowski, Der Traum von der Au)?
So vielversprechend der Auftakt sich gestaltet, schaffen es die Filmemacher um Regisseur Lars Becker (Der Weg ins Paradies) und Drehbuchautorin Dorothee Schön (Bitteres Brot) in der Folge nicht immer, die sich bietenden Möglichkeiten auszuschöpfen und das Anfangsniveau zu halten. Echte Überraschungsmomente bleiben eine Seltenheit, etwa wenn Borowski mit der schwedischen Kollegin Wallström (Ewa Fröling) die Sachen des Vermissten durchsucht und dabei in dessen Spind nicht nur eine Kinderzeichnung findet, sondern auch feststellt, dass es sich bei der Begünstigten der vorhandenen Lebensversicherung mitnichten um Frau Venske handelt.
Ansonsten ist die deutsch-schwedische Zusammenarbeit eine reizvolle Idee, geht aber bisweilen auf Kosten der Spannung. Die Befragungen des Kommissars auf der Scandinavica bringen kaum neue Erkenntnisse und bremsen die Handlung eher aus. Dass an der Schiffsbar zweimal sanft The winner takes it all von ABBA zu hören ist, bleibt motivisch gesehen ein nettes Bonmot, tröstet aber nicht darüber hinweg, dass auch die Auflösung früh zu erahnen ist und erfahrene Krimifans kaum vor größere Probleme stellen dürfte. Da Borowski die entscheidende Äußerung überhört oder nicht richtig deutet, zieht sich das letzte Drittel des Films auch etwas in die Länge.
Was Mann über Bord dennoch zu einem sehenswerten Tatort macht, ist etwa die stärkere Präsenz von Frieda Jung (Maren Eggert), die bis dato lediglich für die Psyche des Kommissars zuständig war, hier aber in ihrer Funktion als Kriminalpsychologin auch erstmals aktiv in den Fall involviert ist. Das große Potenzial in der Beziehung zwischen ihr und Borowski, das den Kieler Tatort auch in den kommenden Jahren bereichert, wird hier zwar vorerst nur angedeutet – das Zusammenspiel funktioniert aber auf Anhieb und wirkt ungemein erfrischend. Ebenfalls positiv hervorzuheben sind die fein dosierten, treffsicheren Gags, etwa wenn Borowski und Kriminalrat Roland Schladitz (Thomas Kügel) darüber philosophieren, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, eine Leiche im offenen Meer zu finden.
SCHLADITZ:Glaubst du im Ernst, wir finden die Leiche?BOROWSKI:Mit etwas Glück. Dort gibt es viele Dorschkutter.SCHLADITZ:Venske ist in der Zwischenzeit Dorschfutter.
Wer über die genannten Drehbuchschwächen hinwegsehen kann, sieht einen soliden und über weite Strecken unterhaltsamen Krimi – und kann sich darüber hinaus am Spiel des hervorragend aufgelegten Casts erfreuen. Zu dem zählt auch Martin Brambach, der ab 2016 den cholerischen Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel im Tatort aus Dresden mimt und hier in einer kleineren Nebenrolle als Bürochef der Kieler Reederei zu sehen ist.
Bewertung: 6/10
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