Folge: 961 | 8. November 2015 | Sender: WDR | Regie: André Erkau
Bild: WDR/Willi Weber |
So war der Tatort:
Weit weniger albern als Mord ist die beste Medizin und Erkläre Chimäre – und zugleich eine ganze Ecke unterhaltsamer als die genannten Vorgänger.
Wenige Wochen vor der großen Einschaltquotenoffensive von Til Schweiger und Schlagerstar Helene Fischer in der Doppelfolge Der große Schmerz und Fegefeuer liefern Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) ihren Millionen Fans einmal mehr das, was diese von ihnen erwarten: Thiels muffelige Wortgefechte mit Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter), Boernes obligatorische Neckereien am Seziertisch mit Assistentin Silke „Alberich“ Haller (Christine Urspruch), vor allem aber viele gelungene Pointen, die spürbar origineller ausfallen als in den vorhergehenden Tatort-Folgen aus Münster.
Denn die ersten Minuten in Schwanensee täuschen: Der leinwanderprobte Regisseur André Erkau, der gemeinsam mit den Cenk Batu-Erfindern Thorsten Wettcke (Auf der Sonnenseite) und Christoph Silber (Häuserkampf) auch das Drehbuch schrieb, entwirft im malerisch gelegenen Therapiezentrum am Aasee eine für Münsteraner Verhältnisse fast bodenständige Whodunit-Konstruktion, bei der die Ermittlungen und die Auflösung der Täterfrage nicht komplett hinter abgegriffenen Zoten und müdem Slapstick zurückstehen müssen.
Erkau setzt bei seinem Tatort-Debüt nur selten auf Klamauk und harmlose Altherrenwitzchen: Thiels einleitender Beinahe-Sturz im Schwimmbad, der Erinnerungen an den Silvester-Klassiker Dinner for One weckt, bleibt eine ebenso alberne Ausnahme wie Boernes Trockenübungen vor dem Spiegel, mit denen sich der Professor in kompletter Tauchermontur auf einen anstehenden Trip auf die Malediven vorbereitet. Die Urlaubspläne wirft Boerne ohnehin schnell über den Haufen: Im Therapiezentrum Schwanensee wartet die Leiche der attraktiven Mona Lux (Jessica Honz), und die erfordert schon bald seinen vollen Einsatz.
Aus der rasanten Taxifahrt mit Herbert „Vaddern“ Thiel (Claus Dieter Clausnitzer) ergibt sich der beste Running Gag des Films – und spätestens, wenn „Alberich“ flugs ausgedruckte Testergebnisse vom Straßenrand aus ins vorbeibrausende Taxi reicht, läuft das Münsteraner Figurenensemble zu Hochform auf. Die hohe Gagdichte des ersten Filmdrittels geht im Mittelteil etwas verloren – bis die sympathischen Patienten in die Bresche springen, deren Verhaltensauffälligkeiten viele Lacher generieren. Der köstlich derbe Heinz Gärtner (Matthias Hörnke), der keinen Satz ohne Kraftausdruck über die Lippen bringt, stiehlt jede Szene, in der er auftritt, während die an unersättlicher Libido leidende Evi Haberlein (Manuela Alphons) Boerne mit wenig subtilen Flirt-Versuchen aus der Reserve lockt.
Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Krankheitsbildern ist in Münster allerdings nicht zu erwarten: Alle Patienten werden auf lediglich eine Charaktereigenschaft reduziert; und vor allem Restaurantbesitzer Alberto Di Sarto (Roberto Guerra, Ihr werdet gerichtet) und der schizophrene Telenovela-Fan Isa Storch (Nadja Zwanziger, Tödliche Häppchen) sind kaum mehr als wandelnde Klischees. Doch es gibt einen Lichtblick: Der groß aufspielende Robert Gwisdek (Mauerpark) mimt mit dem autistisch veranlagten Andreas Kullmann die interessanteste Figur des Schmunzelkrimis. Der mathematisch begnadete Ex-Steuerfahnder löst binnen Sekunden komplexeste Rechenaufgaben und sorgt damit immer wieder für Verblüffung, übersieht bei seiner morgendlichen Runde im Schwimmbad aber glatt die Leiche unter Wasser.
Nicht unter, sondern auf dem Wasser hingegen spielt der große Showdown: Während bei Quoten-Konkurrent Til Schweiger atemberaubende Action-Einlagen an der Tagesordnung sind, strampeln Thiel und Boerne dem Mörder spontan in einem Tretboot hinterher. Das hat Stil, das macht Spaß, das ist originell: Es geht auch mit reduzierter Klamaukdosis in Münster, ohne dass der Unterhaltungswert dabei auf der Strecke bliebe.
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